Bel Ami (German Edition)
schon.«
Sie wollte widersprechen, aber er unterbrach sie:
»Nein, ich habe es wohl bemerkt. Wenn du willst, fahren wir schon morgen wieder ab?«
»Ja, ich möchte gern«, flüsterte sie.
Sie schritten langsam vorwärts. Es war eine milde Nacht und in ihrem tiefen, liebkosenden Schatten glaubte man allerlei leichtes Geräusch zu hören, entweder eine Art Knistern oder ein leises Atmen. Sie waren jetzt in eine schmale Allee sehr hoher Bäume gelangt, rechts und links umgeben von undurchdringlichem Dickicht.
»Wo sind wir?« fragte sie.
»Im Wald« antwortete er.
»Ist er groß?«
»Sehr groß, einer der größten in Frankreich.«
Es roch nach Erde, nach Bäumen und Moos. Der frische und zugleich welke Duft des dichten Waldes, der von dem Saft der Knospen und den faulenden Blättern des Dickichts stammte, schien in dieser Allee so ruhig und unbeweglich zu schweben. Madeleine blickte empor und sah die Sterne zwischen den Wipfeln der Bäume; und obwohl kein leisester Luftzug die Baumzweige bewegte, fühlte sie doch um sich das unbestimmte Rauschen des Blättermeeres. Ein seltsamer Schauer flog über ihre Seele und lief dann über ihre Haut. Eine Angst beklemmte ihr Herz. Warum? Sie wußte es nicht, aber sie hatte das Gefühl, als wäre sie umringt von Gefahren und verloren. Sie fühlte sich verlassen, ganz allein auf dieser Welt unter der grünen Wölbung, die oben rauschte.
»Ich fürchte mich etwas«, murmelte sie. »Ich möchte zurück.«
»Gut, kehren wir um.«
»Und ... morgen reisen wir wieder nach Paris?«
»Ja, morgen.«
»Morgen früh?«
»Auch schon morgen früh, wenn du willst.«
Sie kehrten zurück. Die beiden Alten hatten sich schon zu Bett begeben. Madeleine schlief schlecht. Sie erwachte fortwährend von den ungewohnten Geräuschen der Nacht, dem Schrei der Eule, dem Grunzen des Schweines, das in einem Stall hinter der Wand eingesperrt war, und dem Krähen des Hahnes, das schon um Mitternacht begann. Beim ersten Morgendämmern war sie schon auf und reisefertig.
Als Georges seinen Eltern mitteilte, daß er schon heute abreisen müßte, waren sie beide betroffen, dann aber begriffen sie, woher diese Absicht kam.
Der Vater fragte einfach:
»Werden wir dich bald wiedersehen?«
»Aber natürlich. Im Laufe des Sommers.«
»Na, dann um so besser.«
Die Alte brummte:
»Ich wünsche dir, daß du nicht zu bereuen brauchst, was du getan hast.«
Er schenkte ihnen zweihundert Francs, um ihren Ärger zu besänftigen, und als die Droschke, die ein Dorfjunge geholt hatte, um zehn Uhr erschien, umarmte das junge Paar die alten Leute und fuhr davon.
Als sie den Berg hinunterfuhren, sagte Duroy lachend:
»Siehst du, ich habe dich gewarnt. Ich hätte dich nicht mit Herrn und Frau Du Roy de Cantel, Vater und Mutter zusammenbringen müssen.«
Sie begann auch zu lachen und entgegnete:
»Ich freue mich jetzt sehr darüber; es sind brave Leute und ich beginne, sie gern zu haben. Ich will ihnen aus Paris kleine Geschenke schicken.«
Dann sprach sie leise vor sich hin: »Du Roy de Cantel ... Du wirst sehen, kein Mensch wird sich über unsere Hochzeitsanzeige wundern. Wir wollen überall erzählen, wir hätten eine Woche auf dem Gut deiner Eltern verbracht.«
Sie neigte sich zu ihm hin und streifte mit einem Kuß das Ende seines Schnurrbartes:
»Guten Tag, Geo.«
»Guten Tag, Made«, erwiderte er und schlang seinen Arm um ihre Hüfte.
In der Ferne sahen sie tief unten im Tal den großen Fluß wie ein silbernes Band in der Morgensonne leuchten, und die Fabrikschornsteine, die ihre schwarzen Rauchwolken zum Himmel hinaufbliesen, und alle spitzen Türme, die über der Stadt emporragten.
II.
Das Ehepaar Du Roy war seit zwei Tagen nach Paris zurückgekehrt und der Journalist hatte seine alte Tätigkeit wieder aufgenommen, in der Hoffnung, bald von der Redaktion des Lokalen Teils entbunden zu werden, um endgültig das Ressort Forestiers zu übernehmen und sich ganz der Politik widmen zu können.
Er ging abends mit frohem Herzen nach der Wohnung seines Vorgängers, um zu essen. Er sehnte sich nach seiner Frau, deren körperliche und seelische Reize ihn immer mehr fesselten. Als er an einem Blumenladen am Ende der Rue Notre Dame de Lorette vorbeikam, kam er auf die Idee, für Madeleine einen Strauß Blumen mitzunehmen und er kaufte ein großes Bund halbgeöffneter, duftender Rosenknospen.
Auf jedem Treppenabsatz seiner neuen Wohnung sah er sich selbstgefällig in dem Spiegel, der ihn jedesmal an seinen
Weitere Kostenlose Bücher