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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milada Součková
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süßlichen und ordinär herben Wein einzugießen?! Vielleicht wartet sie darauf?! Doktor Zage kam aus Überraschung und Angst aber doch nicht ganz zu sich (ganz unangebracht), als ob er getäuscht worden wäre. Das war Unsinn. Julinka ist ein klugesMädchen und vertraut sich niemandem an. Im Übrigen, was kann wer beweisen! Das sind alles unsinnige Phantasien überspannter Nerven.
    Julinka kann allerdings nicht erwarten, dass Doktor Zage wegen derartiger Umstände anfängt mit ihr zu turteln. Erwartet sie das vielleicht? So ein Mädchen kann sich nicht vorstellen, was für einen Mann vom Schlage Doktor Zages eine solche Überraschung bedeutet und welch unangenehme Folgen sie haben könnte. Er spürt das in allen seinen Nerven. Nie wollte er den romantischen Helden spielen (nie?). Julinka wird doch nicht verlangen, dass er sie am helllichten Tag begleiten soll und jedermann sie zusammen sieht. Sie begreift, dass er ängstliche Rücksichten auf seine gesellschaftliche Stellung nehmen muss. Julinka ist doch ein kluges Mädchen (ach, was würde sie nicht alles tun, um sich Doktor Zages gute Meinung zu erhalten!).
    Als mir Giulia ihre Geschicke erzählt, frage ich mich, ob sich ihr die Überraschung ihres ersten Liebhabers wirklich so tief eingeprägt hat. Auch sie dachte in diesen Augenblicken nüchtern und sachlich – zum Beispiel an ihre Wäsche –, sie deutete mir einmal so etwas an. Welche Gedanken konnte sie in dem Augenblick haben, als Doktor Zage sie erinnerte, vorsichtig zu sein. Doch wenn ich sie fragen würde, was würde sie mir antworten? Woran erinnert sie sich? »Verschneite Dächer«?
    Später, viel später, ungefähr dreißig Jahren nach den gerade geschilderten Ereignissen, hatte ich Gelegenheit, Doktor Zage zu treffen, den ich nur aus Erzählungen kannte. In einem Café an einem Hochgebirgssee sagte mir jemand: »Schauen Sie, das ist Doktor Zage, ich glaube, er war als junger Mann in Giulia verliebt.«
    »Wo?«
    Er kommt mit seiner Frau. Doktor Zage, ein bekannter Advokat, er studierte in Prag. Seine Frau ist Tschechin. Doktor Zage kommt bis an unseren Tisch, ich werde ihm vorgestellt: ein Freund Julinkas! Advokat Doktor Zage! Die Gnädige Frau!
    Keinen Zweifel, Doktor Zage hat alle Wünsche seiner Eltern, seiner Freunde erfüllt, den Gipfel seiner Karriere erreicht. Hat er davor oder danach geheiratet? Das habe ich meinen Bekannten nicht fragen können, ob Zage vor oder nach der Heirat den Gipfel seiner Karriere erreicht hat. Dem Aussehen seiner Frau nach würde ich sagen, danach, mit ihr heiratete er Geld oder Einfluss, die haben ihm zum Höhepunkt seiner Karriere verholfen. Solche Schlüsse müssen natürlich überhaupt nicht zutreffen: seine Frau könnte ebenso die einzige hässliche Tochter eines reichen Vaters oder die Tochter seiner Zimmervermieterin sein. Doch vielleicht ist er nur der Schlinge entkommen, vor der ihm die Hände zitterten, dem Gedanken, bei dem ihm der Schweiß ausbrach. Wer weiß?!
    Heute kommt es darauf nicht mehr an. Sei es mit oder ohne Geld, mit oder ohne Einfluss seiner Frau, er hat den Gipfel seiner Karriere erreicht. Er erzählt von einer Luxusvilla, die er sich hier gebaut hat.
    Da mich mein Bekannter als Giulias Freund vorgestellt hat, fragt mich Doktor Zage, was Julinka mache. Ich sage ihm, sie lebe in New York, und er riskiert vor seiner Frau keine weitere Frage und ich bin froh, ihm nicht mehr sagen zu müssen, als ich gesagt habe. Ich habe das mit der Lässigkeit eines Snobs gesagt: Sie lebe in New York. Ich bin froh, in diesem Moment im Namen Giulias und vor DoktorZage ein Snob sein zu können. Er ahnt nicht, dass Julinka so unklug war und sich mir anvertraut hatte – vielleicht wäre ihm das heute, wüsste er es, auch gleichgültig –, nein, es wäre ihm nicht einmal jetzt gleichgültig, wenn das vor seiner hässlichen Frau ans Licht käme. Als ob er etwas ahnt, sagt er tadelnd, Julinka sei immer leichtsinnig gewesen. Ich weiß nicht, was er alles über Giulias Schicksal weiß, die Bemerkung, dass sie leichtsinnig war, passt immer. Er lächelt dabei leicht, vorsichtig, damit seine Frau nichts merkt.
    Vielleicht hat er sich in diesem Moment an das Bild der achtzehnjährigen Julinka erinnert, an seine Überraschung. Hat er vergessen, wie ihm die Hände zitterten, wie ihm der Angstschweiß ausbrach? Sieht er das Tablett mit dem angestaubten Obst vor sich, in den Nächten der Weinstube gereift? Hat er hat den Geschmack bitteren, schalen, schlechtriechenden Weins

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