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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milada Součková
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ihres Taktes: Sie lächelte über Paolo im Bewusstsein ihrer Überlegenheit: Das bringe doch Glück!
    Ich war nie in Giulias Berliner Wohnung, wo dieses weiße Eisbärenfell lag, auf das Paolo ein Stück Hunde- oder Pferdekot getragen hatte, ich sah weder dieses Zimmer, noch die in Untermiete »bei Damen aus guter Familie«, »aus gutem Hause«, wie Giulia sich ausdrückte. (Schondamals bemerkte ich, wenn Giulia tschechisch sprach, übersetzte sie oft aus dem Deutschen.) Wahrscheinlich ist sie nach ihrer Bekanntschaft mit Paolo von dort bald weggezogen.
    Ich muss die Wohnung, in der sie in Berlin lebte, nicht betreten. Ich kenne sie von Schmutzecken und kalten Häusersockeln, ich kenne sie von den Museumsfestungen, ich kenne sie von fremden Hausportalen, nicht nur in Berliner, sondern auch in Wiener, in Pariser Straßen, ich kenne sie von den fremden Hausfassaden, an denen ich an kalten Wintertagen vorbeiging.
    Ich kenne das Schicksal der Schauspielerin bis ins Einzelne, ich kenne ihren Liebhaber Paolo, den ich nie gesehen habe, ich kenne ihn, wenn ich an der Börse vorbeigehe, der Börse in Paris, in Berlin, in Wien, ich kenne ihn von der Ecke einer dieser zur Börse führenden Straßen, wo Paolos Vater ein einflussreicher Mann war.
    Dieses Schicksal, ich erkenne es, so oft ich an einem alten schön gebautem Haus in eine Nebenstraße vorübergehe, einem Haus, dessen schöne Bauart vollkommen unter schwarzem Ruß verschwindet – wie alt? Vielleicht Jahrhunderte, vielleicht nur dreißig Jahre?
    Ich kenne Paolos Vater (bis hin zu der Art, wie er seine Zigarren rauchte) und seine Mutter (auch die Namen der Mitschüler), ich kenne deren Jugend, deren Ehen – aus dem Portal dieses fremden Hauses, aus dem ein Mädchen mit einem Körbchen hinausläuft, neben dem ein mit Flaschen beladener Wagen steht.
    Paolos Vater begann wohl in einem Weingroßhandel. Ja, mir scheint, Giulia erzählte das einmal. Paolos Vater begann eigentlich als Weingroßhandelsgehilfe, heiratetespäter die Tochter des Geschäftsinhabers, der bankrott war, und den Paolos Vater wieder nach oben gebracht hat (Giulia erzählte mir das zu einer Zeit, als Paolo den Aufschub der Heirat mit Giulia mit dem Widerstand der Eltern begründete). Er fing als Gehilfe des Handelsmannes an, der ein Haus mit prächtigem Portal in einer der Seitenstraßen besaß, wo man Brautkränze herstellt, wo es nicht nur ein Weingroßlager gibt, sondern auch Kunstblumen, künstliche Myrrhe, ein Großlager mit Artikeln für die Erstkommunion, die Firmung (Konfirmation), für Bräute, für Begräbniskränze. Ich weiß nicht, ob Paolos Eltern katholisch oder protestantisch waren. Gehe ich durch eine Berliner Nebenstraße, scheint mir, sie waren Protestanten, gehe ich durch eine Straße in Paris, scheint mir, sie waren Katholiken. Ist es in Wien, fällt mir ein, dass Giulia mir sagte, Paolos Mutter wünschte von Anfang an keine zweite Heirat Paolos, hauptsächlich wegen der Kinder; erst als sie Giulia kennengelernt hat –
    Wenn ich durch eine Berliner oder Pariser Nebenstraße gehe, wenn ich einen abgelegenen Devotionalienladen sehe, dann denke ich an die Braut, die erste Frau Paolos, diese reiche Erbin: die Eltern haben ihn zu dieser vorteilhaften Heirat gezwungen, an deren Zustandekommen Paolo sich nur widerstrebend erinnert.
    Gehe ich durch eine Nebenstraße in Berlin, in Paris, und atme plötzlich ekelhaften Abfall- oder Fischgestank, denke ich an den unüberwindlichen Abscheu, den man gegenüber bestimmten Gerüchen hat; so erklärte Paolo seine unüberwindliche physische Abneigung gegenüber seiner ersten Frau. So wenigstens erklärt das Giulia. So erklärt das Paolo Giulia: kaum geschieden, ist er mit Freunden in dieLoge bei Ronacher geraten. Sie erklären das so: Was daran stimmt, weiß ich nicht.
    Daran denke ich oft, wenn mir aus einer Pariser oder Berliner Seitengasse auf einmal Abfall- oder Fischgeruch entgegenweht. Ich atme ihn halb mit Abscheu, halb mit Genuss, weil ich im selben Augenblick sehe, wie sich das Portal des fremden Hauses öffnet, und die elegante Gestalt von Paolos erster Frau heraustritt. Ich gehe weiter, gehe im Dunklen über nassen Asphalt weiter, bis ich auf eine Leiter stoße, über die Fässer in einen Keller rollen, und ich kehre im Geist wieder in das Weingroßhandelsgeschäft zurück – in einer Nebenstraße in Paris, in Berlin, in Wien –, die Vermögensgrundlage von Paolos Familie, eines Vermögens, von dem Blumen und ein wunderbar

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