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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milada Součková
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Aufführung der »Europäischen Oper« verkündet. Ihre Schöpfer sind die besten europäischen Komponisten.
    Die kleine Soubrette hält einen Weinpokal und singt. Wer kennt die Worte und die Melodien dazu, vielleicht wird sie sie jetzt singen, aber sie klingen vielleicht in diesem nüchternen Tageslicht dumm und unsinnig. Giulia sagt mir etwas Spöttisches über die Soubrette, etwas über ihren lächerlichen Eigendünkel. In diesem Moment will ich Giulia nicht mehr hören. In diesem Moment um Mittag herum. Denn ich weiß, dass sie sich gleich für eine Weile von mir verabschieden und in eins dieser heute modischen Restaurants gehen wird.
    Ich war oft bei solchen Essen in Restaurants in Wien, in Paris, in Berlin. Ich kenne Giulias Rolle, die sie vor den Leuten vom Nebentisch, vor Kellnern, vor dem, der sie eingeladen hat, spielen wird, auswendig.
    Oft folgte ich Giulias Spiel, oft folgte ich dem Duft der Speisen und Getränke, in Prag, in Paris, in Wien, in Berlin. Nur ich weiß, was Giulias gesunder Magen vor meinen Augen alles vertilgte, mehr oder weniger erlesene Speisen und Getränke! Oftmals verlangte Giulia von mir, ich solle sie begleiten, oft war ich Gast ihrer Gastgeber, oft ließ sie mich allein vor der Restauranttür stehen. Heute lasse ich sie stehen.
    Ich betrete den Theatervorverkauf, wo auch mittags (besonders im Winter) Tausende Theaterrampenlichter in Berlin, in Paris leuchten, mit tausend Worten, Stimmen,Dramen leuchten, die Worte zu gewaltiger Größe steigernd.
    Ich trete an den Schalter und will eine Karte für eine Vorstellung der »Europäischen Oper« kaufen. Ja, das will ich. Ein schönes Fräulein oder eine Frau mit blondiertem Haar, Lippen und Gesicht geschminkt, parfümiert, elegant, blättert in ihren Papieren – etwas dieser Art gibt es hier nicht. Ich versichere ihr, die Bekanntmachung an der Straßenecke gesehen zu haben. Sie traut mir nicht, sie traute mir vom ersten Moment an nicht, weil ich weder eine Karte für die Oper wollte, die man jahrelang schon spielt, fünfhundert Mal, noch für das Schauspiel, das man täglich aufführt, fünfhundert Mal schon en suite.
    Keine dieser schön hergerichteten Fräulein oder Frauen traute mir. Jede sah zwar pflichtgemäß sogar die Theater, in die niemand geht, für die niemand Karten kauft, durch und konnte sachlich ihr Misstrauen mir gegenüber legalisieren: hier gibt es nichts dieser Art. Sie demonstrierte mir deutlich ihre Überlegenheit. Wieder draußen, dachte ich mir, Giulia würde sich ausgezeichnet als Dame einer Theateragentur mit eigenem Vorverkauf eignen. Das fällt mir vielleicht nur deswegen ein, weil sich beide, die Dame im Vorverkauf und Giulia, mit ausgesuchter Höflichkeit benehmen können, auch wenn es um eine so unbedeutende Angelegenheit, wie den Kauf einer Theaterkarte oder ein Missverständnis geht. Beide können auf so ausgesuchte Weise ihre Überlegenheit demonstrieren. Andere Zusammenhänge gibt es hier nicht, und dennoch stelle ich mir Giulia als gefällige Dame vor, als schöne Dame, die Kunden oder Bittsteller auf ausgesucht höfliche Weise abfertigt. Man begreift nicht, warum diese DamenEintrittskarten verkaufen und nicht selbst Theater spielen. Und doch gibt es einen weiteren Zusammenhang (damit ist kein Ende): denn Giulia hat sich zeitweilig mit einem natürlich undurchführbaren Plan beschäftigt, über den sie mir ellenlange Brief schrieb: Sie wolle in New York eine Theateragentur gründen: Ich solle sie auf in Europa erfolgreiche Stücke aufmerksam machen.
    Wieder stehe ich draußen vor der Theaterkasse, wieder sehe ich vor mir die Ecke des Opernhauses. In diesem Augenblick um Mittag herum; ich schaue vom Gang des Theatergebäudes auf das gläserne Dach, grün und blau, von einem Drahtnetz gesichert, bewachsen mit winzigen Rußbüscheln; ich stehe zwischen Theatertrödel und höre eine wunderschöne Stimme (sie gehört nicht Giulia), ich höre diese wunderbare Frauenstimme, geschult von den größten Lehrern Europas, sie singt die Hautrolle der »Europäischen Oper«. Ich schaue unverwandt, bewegungslos, erregt auf das von winzigen Rußbüscheln bewachsene Gitter und lausche. Es ist Probe.

EIN KAPITEL FÜR EINEN, DER MANCHMAL LANGE WARTETE
    Giulia wohnte in einem Viertel in der Nähe des Belvedere. Die Straße trägt einen Namen, der einem Diplomaten gehören könnte, der bei offiziellen Anlässen auf die Freitreppe tritt, die aus Giulias Salonfenster zu sehen ist. Irgendein Diplomat wohnt auch in der Etage

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