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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milada Součková
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wahr, sah vielleicht seinen Bademantel und erwog mechanisch, ob er ihn auch mitnehmen solle. Den werde er jetzt gewiss nicht einpacken und mitnehmen. Vermutlich hatte er noch sein Rasierzeug in der Hand. Giulias Seifen, Bürsten, Badetücher, das alles war ihm in diesem Augenblick vermutlich widerwärtig. In seiner Stimmung drückte sich das ausschließlich durch diesen Blick in die Badezimmerspiegel aus, in denen sich jeder Flakon, jede Glühbirne, das Email spiegelten. Es war ihm widerwärtig.
    Hier wird eine kleine Szene eingefügt, in der Giulia mit erhobener Stimme zu mir sagt, das Mädchen und die Köchin seien in Paolo verliebt und die eine schaffe es nicht, das Essen zur rechten Zeit auf den Tisch zu bringen und die andere säubere die Glühbirnen im Bad nachlässig.
    Wut und Ekel von Giulias Liebhaber lösen sich nicht in Gefühlen auf und schaffen keine Gefühle, wie sie in Romanen geschildert werden. Er sucht sein Rasierzeug zusammen, die Zahnbürste, vielleicht fällt ihm in der Aufregung nicht ein – immerhin kam sein Vater in dieser Woche an der Börse um sein ganzes Vermögen –, dass er sich eine neue Zahnbürste kaufen könnte und bei der dramatischen Trennungsszene nicht etwas so Lächerliches machen müsste, wie mit einer alten Zahnbürste durch die Wohnung zu laufen.
    Er denkt darüber nicht nach, handelt mechanisch, nimmt seine Zahnbürste, seinen Pyjama mit, einfach weil er gestern gerade diese Dinge seinem Vater in die Untersuchungshaft gebracht hat (oder war das ein Sanatorium für Nervenkranke? Nein, das kam erst später). Pyjama und Zahnbürste. Vielleicht wiederholt er mechanisch die gestrige Handlung aus dem Haus seines Vaters. Übrigens wenn er Pyjama, Rasierzeug, Zahnbürste in Giulias Wohnung ließe, wie würde er dann zeigen, dass er nicht mehr hierher zurückkehren wird?
    Vielleicht wollte er Giulia einfach mit seiner Verhaltensweise zeigen, dass ihr Abschied unwiderruflich ist. Gut möglich, dass das der Grund war, der ihn gezwungen hat, Pyjama und Zahnbürste einzupacken, obwohl ihm nach der gestrigen Katastrophe – so nannte er das und auch Giulia – jeder weitere Moment in der Wohnung, in der er so viele Jahre wohnte, plötzlich unerträglich schien.
    Ich habe noch all die vertrauten Dinge des Badezimmers vor Augen. Zwischen Wellen von Widerwillen und Hass, die in Giulias Liebhaber in diesem Augenblick tobten, suchte er »seine« Zahnbürste, sein Rasierzeug, seinen Pyjama. Verständlicherweise konnte er nicht auf die Idee kommen, auch den Bademantel mitzunehmen, der immer Probleme beim Gepäck verursacht.
    In diesem Augenblick nahm er die vertrauten Formen fast genau so wahr, als ob er sie zum ersten Mal sehen würde, genau so erregt, nur damals auf ganz andere Weise. In die sich ständig wiederholenden Wahrnehmungen ist das ganze Gefühlsspektrum seiner Beziehung zu Giulia eingegangen. Zahnbürste und Pyjama, die Paolo für seinen Vater zusammenpackte, die Gefühle von Verzweiflung und Erniedrigung, haben ihn hier bei den annähernd gleichen wiederholten Bewegungen erleichtert. Nichts ist natürlicher, als dass Paolo aus diesem widerwärtigen Gefühl heraus Giulia, die er schon lange vorher nicht mehr liebte, mit Anschuldigungen überhäuft. Dieser ganze verwickelte Vorgang war auf seinem Höhepunkt übrigens sehr kurz, es war nur der Moment des Übertritts vom Badezimmer ins Schlafzimmer.
    Wo jeder Schritt von einem großen weißen Bärenfell gedämpft wird (vielleicht das, auf dem Paolo bei seinem ersten Besuch ein Stück Kot von seiner Schuhsohle hinterließ?, das bringt doch Glück!), von Teppich und Tuch, mit dem der Fußboden belegt ist. Wo die Wände mit Seide und echten Spitzen tapeziert sind. Ich atme Giulias Parfüm, Quelques Fleurs oder Mitsuko, wie Paolo es atmete. Vielleicht brachte auch er wie ich manchmal, wenn die Gäste weg waren, eine angebrochene Flasche Champagner mit ins Schlafzimmer und redete mit Giulia (durch die halboffene Badtür) währendihrer Nachttoilette. Wenn sie damit fertig war, hatte Giulia die Angewohnheit – im Winter – zum Kamin zu gehen, um ihn anzuzünden. In solchen Augenblicken verlor ihr Gesicht den Ausdruck der Dame und Schauspielerin und nahm Züge an, die mich an ein Kind erinnerten, das man fütterte, wusch und ins Bett brachte. Sowie ich den Salon betrete, verschieben Spiegel das Bild in einen Ausschnitt des zwischen Schlafzimmer und Salon liegenden Raumes; er dient als Ankleideraum, seine ganze Einrichtung bilden nur die

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