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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milada Součková
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über Giulias Wohnung, ich weiß das, denn ich war einmal Zeuge, wie Giulias Köchin, die das Essen nie zur rechten Zeit fertig hatte, besonders wenn Gäste da waren, dorthin nach Aushilfe schickte.
    Die Köchin schob natürlich alles auf Giulia, die ihr die Gäste angeblich immer zu spät ankündigt. Wer recht hatte, weiß ich nicht, aber ich erlebte selbst ein paar solcher Situationen: Gäste betraten den Salon und Giulias Köchin telefonierte mit Tränen in den Augen ins Stockwerk darüber um Hilfe. Ich kann mich über sie nicht beschweren, im Gegenteil, alles, was sie mir vorsetzte, war immer gut, wenn auch fast immer verspätet und mit Tränen benetzt.
    Oft passierte es auch, dass ich von Giulia zum Essen eingeladen, allein essen musste, weil Giulia einfach nicht kam oder für mich die Nachricht hinterlassen hatte, sie hätte plötzlich weggemusst, ich solle allein zu Mittag essen und zu ihr kommen, oder sie zu Hause erwarten.
    Ich habe Stunden in dieser Wohnung auf sie gewartet, und mich doch nicht an den Namen des Diplomaten erinnert, dessen Koch Giulias Köchin aushalf.
    » Gnädige ist böse « , beklagte sich die Köchin mit Tränen in den Augen bei mir, sie sprach die Umlaute hart und kurz aus. Sie hielt mich für einen Verwandten, dem sie vielleicht häusliche Angelegenheiten anvertrauen kann: » Gnädige ist böse! «, schluchzte sie ins Taschentuch und überhäufte mich mit gutem Essen, als ob sie mir beweisen wolle, alles wäre in bester Ordnung auch in Abwesenheit ihrer Herrin, ohne deren Auftrag.
    Ich kann weder Giulia noch der Köchin rechtgeben. Beide ließen mich Stunden im einsamen Salon warten, im einsamen Speisezimmer. Stunden verbrachte ich, auf das fertige Essen wartend, am gedeckten Tisch, Stunden ging ich in Bibliothek und Salon umher, Giulias Rückkehr erwartend.
    Ich nahm die auf dem Schreibtisch herumliegenden Bücher zur Hand und legte sie wieder hin, diese immer wieder angefangenen und nie zu Ende gelesenen Romane; ihre Schicksale strömten ununterbrochen über einen leeren Platz, und wenn ich aus dem Fenster blickte, sah ich an Stelle der Heldin das Zimmermädchen nach etwas rennen, das die Köchin für das Essen, das sie gerade zubereitete, benötigte und vergessen hatte. Oder ich sah den Chauffeur, vor dem Haus im Wagen wartend. In einer großzügig gebildeten Ecke sah ich die leere Freitreppe des Belvedere.
    Von Zeit zu Zeit stürzte das Stubenmädchen ins Zimmer, um mir zu versichern, das Essen würde gleich aufgetragen. Wie Leute, die nichts anderes zu tun haben, verkürzte ich mir die Zeit mit der Voraussage, das Essen käme nicht auf den Tisch, bevor der Chauffeur nicht die Autotür öffnet, schließt, sich hinter das Steuer setzt und abfährt. Dann wird wahrscheinlich auch der Koch frei (ich nehmean, der Chauffeur ist, wie der Koch, bei demselben Herrn angestellt, der Giulias Köchin aushilft), wird in der Küche helfen und das Essen wird fertig.
    Das Warten war so langweilig und die Straße, in der Giulia wohnte, so leer, die Romane auf dem Tisch in der Bibliothek so langatmig, dass mir schien, auch die großen Ideen (in der Bibliothek gab es sie doch: Renan, Pascal, Faust) und Taten seien stehengeblieben. Nichts existiere außer diesem mechanischen Ausschnitt von Zeit und Raum, wo hin und wieder eine kleine Gestalt auftaucht: sie öffnet die Ladentür eines Schuhmachers, damit er möglichst bald hohe Damenschnürschuhe (grüne, rote oder blaue) mit vielen, den Rist bis hoch zur halben Wade umspannenden Schnallen liefere; dies besondere Schuhwerk liefert, das das von vielen Riemchen umschlossene Bein der Tänzerin, Schauspielerin, Geliebten zeigt, denen das Auge auf dem schönen Bein bis zur Kehle folgt, die eine mit tausend Volt beleuchtete Arie singt.
    In diesem Augenblick höre ich nicht den schönen Gesang, sehe nicht die wunderbare Dekoration, die Lichtflut, in der die Sängerin steht; ich sehe unter dem am Rist mit grünen oder goldenen Riemchen umschlossen Fuß nicht die Explosion des Rhythmus; ich sehe nur den Laden, einen abgelegenen Schuhmacherladen, in dessen Auslage verstaubte Ballettschuhe, Reitstiefel, vergoldete Kothurne stehen. Der Schuhmacher im kleinen Laden und ich mit ihm, wir begreifen von dieser Feerie nur das Sich-Hochstemmen in die Fußspitzen, in die Zehen, in die Ferse, im Rist.
    Der Schuhmacher schaut das hübsche Stubenmädchen, die auf eine kleine Reparatur drängt, durch seine Brille an. Er schaut streng, bis das Mädchen kokettiert: Wobeiwurde

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