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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milada Součková
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sie wieder ertappt? Der Meister spielt mit dem Schuh, in den sich deutlich der große Zehenballen eingedrückt, Schweiß, Zeichen angestrengter Übung, eingebrannt hat.
    In diesem Raum, der den Blick auf Renaissancetreppe und Garten freigibt, in dieser Feerie von Licht, Farben und Flittergold, sehe ich nur die Figur des Stubenmädchens, wie es über die Straße läuft und anfänglich dringend, später verlegen, die Reparatur eines der goldenen Kothurne fordert, deren glänzender Gesang vom Schuhmacher zum Schweigen gebracht wird, der mit den goldenen Kothurnen schweigend und streng sein Spiel treibt.
    Manchmal wird die Glocke läuten und das Stubenmädchen mir melden, die Englischlehrerin oder die Korrepetitorin seien hier gewesen. Sie meldet mir das nur, um mich, für den Giulia keine Zeit hat, den sie vernachlässigt, zu trösten, damit ich nicht allein bin.
    Wenn ich dann aus dem Fenster schauen werde, steht das Auto nicht mehr vor dem Haus; ich habe verpasst, wie der Chauffeur die Wagentür geöffnet, sie zugeschlagen hat, sich hinter das Steuer gesetzt hat und weggefahren ist. Ich habe den Augenblick verpasst, von dem ich hoffte, er würde die leere Zeit und den Raum beleben.
    Das lange Warten (auf das Essen oder auf Giulia) schafft in mir einen Zustand von Apathie, nicht nur so einfache Vorgänge wie die Essenszubereitung in der Küche erstarrten, sondern auch wichtige Ereignisse stockten und am Ende werden im Raum vor mir nur die Figuren des Stubenmädchens und des Schuhmachers bleiben.
    Ich sehe die vollkommen leere Renaissancetreppe. Ein Winternachmittag, ungefähr drei Uhr. Jemand im Theater sucht eine Kunstblumengirlande: Heute Abend istPremiere und die Blumen müssen bis sechs im Theater sein. Machen Sie vorläufig etwas Provisorisches und schicken Sie in den Großhandel um Kunstblumen.
    Ich bin vor Hunger völlig stumpf. Es ist etwa drei Uhr nachmittags und seit früh habe ich nichts gegessen. Eben war das Mädchen im Nebenzimmer und brachte wieder eine Kleinigkeit ins Speisezimmer. Hatte Giulia von einer Premiere gesprochen? Mit einem Gefühl der Erleichterung wird mir bewusst, dass mich nichts zwingt, länger hier zu bleiben, wird mir bewusst, dass hinter dem für mich sichtbaren leeren Zeitausschnitt draußen, lebendige Zeit und lebendiger Raum ist. Ich kann mich doch ohne Weiteres erheben und gehen! Ich gehe aus diesem leeren Ausschnitt von Giulias Wohnung hinaus, verlasse die Straße, die den Namen eines fremden Diplomaten trägt, und gerate in eine Straße, wo die Straßenbahn fährt, wo sie Zeitungen verkaufen.
    Aber als ich in die Diele gehe und mich anziehen will, begegnet mir mit vorwurfsvollen Blicken das Mädchen und mit Tränen in den Augen die Köchin: Der Koch helfe das Mittagessen fertigzumachen! Wenn ich so lange auf mein Essen gewartet habe – selbstverständlich ist das nicht Schuld der Köchin, warum rief Giulia so spät an? –, wäre es Unsinn, gerade jetzt zu gehen, wenn es in zehn Minuten fertig sein wird.
    Die vorwurfsvollen Blicke, das Zureden und vor allem, dass ich wirklich so lange gewartet habe, halten mich zurück und ich werde aus der Diele von meinem Wintermantel und Hut weg in das Zimmer gescheucht, durch Türen, die sich in Giulias Wohnung so schwer öffnen und schließen, anscheinend, weil sie auf beiden Seiten mit geschliffenen Spiegelquadraten besetzt sind. Ich verspreche mir, sobaldich Mittag gegessen habe, raffe ich mich auf und gehe; und morgen reise ich ab. Ich habe nicht vor, diesen Aufenthalt zu verlängern.
    Die schwere Tür fällt leise hinter mir zu. Ich gehe durch das Schlafzimmer ins Badezimmer, um mir vor dem Mittagessen die Hände zu waschen. In zehn Minuten soll es angeblich fertig sein. Heute ist das Händewaschen eine willkommene Abwechslung, ich wasche mich mit Giulias Seife, und wenn ich aus dem Badezimmer ins Schlafzimmer zurückkehre, habe ich immer noch ein paar Minuten Zeit vor mir, ein paar Minuten, in denen sich eine Handlung im Raum des Badezimmers, aus dem ich hinausgehe und dem Schlafzimmer, in das ich hineingehe, entfalten kann.
    Ich habe noch die Formen von Giulias Toilettenutensilien vor Augen. Das alles hat Paolo eingerichtet, sage ich mir. Mir wird bewusst, dass er ebenso aus dem Bad kam, wenn er sich dort aufhielt, um sich vor dem Essen die Hände zu waschen, und ebenso, um von dort ein paar seiner persönlichen Gegenstände zu holen, als er von hier endgültig wegging.
    Zweifellos nahm er alle diese vertrauten bekannten Gegenstände

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