Bel Canto (German Edition)
zwischen Fenster und drei Türen längs der Wände stehenden Schränke, in der Mitte, in Fensternähe, ein Tisch mit Stühlen, wo Giulia ihre Haushaltsrechnungen erledigt.
Die Spiegeltüren haben nicht nur meine Schritte verschoben, sondern auch die Handlung der Geschichte: und was ist mit den vielen unbezahlten Rechnungen?!
Ich bleibe nicht stehen und gehe weiter in den Salon: hier bringe ich die Schlussszene unter: Giulia liegt, in einer wirklichen oder vorgetäuschten Ohnmacht, auf dem Teppich. Als ich über sein Muster gehe, wird mir bewusst, dass Giulia sich mit dem Gedanken trägt, diesen kostbaren Teppich zu verkaufen und sich einen billigeren anzuschaffen.
Ich sehe Giulia, jung und schön – ihr Liebhaber hatte unrecht, als er sagte: » Heul nicht, du alte Hure! « –, sehe sie auf einem Hotelteppich in Prag, in einer echten Ohnmacht. Damals hatte sie etwas Schlechtes gegessen. Ich sehe die kleine, durch den Sturz entstandene blutende Wunde in ihren prachtvollen blonden Haaren, die so dicht waren, dass Doktor Buršík nicht an die Wunde kam.
In dem Augenblick, wo Paolo mit Pyjama und Zahnbürste ins Zimmer getreten war, hatte Giulia begriffen, dass er sie wirklich verlässt, und begann zu weinen. Indiesem Moment erreichten auch die in ihrem Liebhaber schon seit dem gestrigen Tag angestauten Wutgefühle den Höhepunkt, und er sagte ihr den gemeinen Satz: » Heul nicht, du alte Hure! «
Ein Mensch, dessen Vater am Tag zuvor wegen Geldgeschäften eingesperrt wurde, hat keine Lust, besondere Rücksichten zu nehmen.
Giulia schreckte zurück. Weniger wegen der Grobheit ihres Geliebten, als wegen des Misstrauens gegenüber ihren Tränen. Hoffte sie, es könnte ihr gelingen, den Geliebten zu halten? Oder spielte sie nur eine einstudierte Szene?
Sicher ist, dass sie sich, nachdem er gegangen war, mit natürlichen Hassgefühlen, die in ihr wohl eine vorgetäuschte oder tatsächliche Ohnmacht zurückgelassen haben, erhoben hat, mit echten Schmerzgefühlen, schon deswegen, weil ihr ganzes Bemühen keinen Widerhall gefunden hat. Nach dem Abschied des Geliebten – wir folgen ihm nur bis in die Diele, wo ihm das verweinte Mädchen den Hut gereicht hat, und in der halboffenen Tür die verweinte Köchin stand – kehren wir wieder zu Giulia zurück: Sie ist aufgestanden und in das Badezimmer gegangen, um die Tropfen, die ihr Doktor Buršík in Prag verschrieben hatte, zu holen: Hofmannstropfen.
Das Mädchen kommt ins Zimmer und meldet mir, als hätte es überhaupt kein Warten und keine Verzögerung gegeben, das Essen stehe auf dem Tisch.
NACHTRAG: KARNEVAL
Ich habe die gemeinsam von Koch und Köchin zubereitete Mahlzeit gegessen. Ich erinnere mich an das vorzügliche Duett: ravioli au gratin ! Es war das Produkt einer stürmischen Küchenszene, begleitet von den Tränen der Köchin, dem Umherlaufen des Mädchens und dem Eingreifen des Kochs in weißer Schürze und Mütze. Dementsprechend schmeckte es auch! Ich verstand nur nicht, warum fast drei Stunden Warten nötig waren, um ein so einfaches Mittagessen zuzubereiten.
Giulia ruft an, ich solle nicht auf sie warten, sie komme vor der Vorstellung nicht nach Hause, um auszuruhen. Als ich den Hörer in die Gabel lege, fällt mein Blick auf die Goldlettern eines breiten Buchrückens in Giulias Bibliothek: Faust . Mir schießt der Gedanke durch den Kopf, dass Giulia einst auch die Margarethe sang oder wenigstens einstudierte. Ich gehe in die Diele, wo das Stubenmädchen jemandem im Gang erklärt, Giulia sei heute vollauf beschäftigt. Hinter der Küchentür schaut die Köchin schuldbewusst hervor, beschuldigt uns alle mit verweinten Augen der Ungerechtigkeit und reicht dem Stubenmädchen in einer Form einen noch heißen Kuchen oder eine Mehlspeise, ich lehne entschieden ab zu warten, bis sie ausgekühlt ist. Ich verstehe nicht, wie ich so viele Stunden in der leeren Wohnung verbringen konnte, in einem Raum und in einer Zeit, leer wie Raum und Zeit auf einer Verpackung für Schokolade oder Kölnisch Wasser, die vomunvergänglichen Reiz einer Empirefassade oder eines Kostüms sprechen.
Diese Kulisse ist kein Zufall. In solchen Kulissen tritt Giulia im Cabaret Femina auf. Giulia in einem Kleid wie auf den Schokoladen- und Kölnisch-Wasser-Verpackungen; sie glaubt, das verleihe ihr besonderen Reiz und Vornehmheit, wie Leute sie verstehen, die altertümliche Möbel kaufen.
Ich höre Giulia am Abend eines dieser altmodischen Lieder, mit rührenden Einzelheiten über
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