Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milada Součková
Vom Netzwerk:
Schokolade und Lavendel, singen. Keine der Erscheinungen, die im Kabarett gut zur Geltung kommen. Wo sie gut zur Geltung käme, fragte ich in dieser Zeit schon nicht mehr.
    Am Abend vor dem Auftritt werde ich sie in der Garderobe besuchen. Männer könnten den Frauen viele ihrer Lügen, Kleinlichkeiten, Eitelkeiten, Beschränktheiten nachsehen, würden sie die Frau manchmal betrachten, wie sie zum Rendezvous mit einem Geliebten oder vor einem Auftritt gekleidet ist: in beiden Fällen sorgfältigst von Kopf bis Fuß hergerichtet. Wer einmal den vollkommen konzentrierten Blick in den Spiegel sah, die Hand mit der Schminke, würde seiner Geliebten ihre Unzulänglichkeiten verzeihen.
    Dazu müssen wir hinter die Kulissen sehen, müssen lieben. Auf der Bühne kann Liebe oft wie leerer Flitter wirken: Wir hören eine falsche Stimme, einen schlechten Vortrag, sehen schlechtes Spiel, Tausende Fehler –
    So sah Ernesto Giulia.
    Wir haben lange nicht von Ernesto gesprochen!
    So sah er sie und hat sich wohl gesagt: Mit dieser Stimme wird aus ihr nie eine große Sängerin. Ihr Reiz auf derBühne ist dahin. Ernesto hört den Gesang und beurteilt kühl die Stimme, schaut kühl auf die Gestalt in der Krinoline, in der Militäruniform. Aus dem vergangenen Jahrhundert, aus dem vergangenen – oder aus unserem Jahrhundert?
    Auch in der Welt, die diese Seiten hier umfassen, tobt der Kampf, die Menschen sterben. Hörst du, lieber Leser? Allerdings weiß ich, der Karneval, den wir gerade auf der Bühne sehen, ist unwirklich. Ich weiß, Giulia ist in der Krinoline, im schwarzen Dreispitz lediglich verkleidet.
    Ernesto urteilt ganz sachlich und kühl: Giulia, die doch Opernsängerin sein wollte, tritt im Kabarett auf und ist auch dort erfolglos. Ernesto wird ihr kühl sagen: das sollte sie nicht tun! In diesem Moment wird Giulia die Rührung aus der Begegnung vergessen und mit Wut in den Augen antworten, Ernesto möge sich lieber um seine Angelegenheiten kümmern.
    Wer würde übrigens wagen, Ernestos Begegnung mit Giulia zu schildern?
    Wenn er Giulia gesagt hat, wie sie noch Jahre später behaupten wird, es sei vielleicht Schicksal, das sie nun zusammenführe, schien ihm später, als er sie im Kabarett auftreten sah, es sei unmöglich, dass er, Ernesto, eine Kabarettsängerin heiraten könne.
    Ich sprach mit ihm darüber: Er war sich der Lage Giulias genau bewusst. Das sah ich ihm an, als er mir sagte, er habe sie im Kabarett auftreten sehen. Ich sah schließlich auch seine Überraschung: Wie konnte Giulia so tief sinken!
    Vielleicht stellte er sich vor, er würde Giulia nach der Vorstellung in der Garderobe besuchen und ihr sagen: »Giulia, wir haben beide erreicht, was wir wollten!«Vielleicht rührte die Bitterkeit in Ernestos Gesicht, als ich mit ihm sprach, daher, dass er das nicht sagen konnte. Wer weiß!
    Es ist wahr, beide setzten ihr ganzes Leben auf die Karte des Ehrgeizes, beide haben letztlich ihre Fähigkeiten überschätzt. Aber sind wir schon soweit?

KULISSE
    Wäre ich ein erfolgreicher Schriftsteller, würde ich dieses Kapitel so beginnen:
    Ich traf mich mit Giulia in New York. Es war kühl, ein Dezembertag, es schneite –
    Ich verzichte aber auf diese bisher (wie lange?, oft streite ich mit meinen Freunden darüber) erfolgreiche Methode, denn was sagt sie über Wirklichkeit und Wahrheit. Wenig, manchmal fast nichts. Je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr meine ich, in der Kunst ist Annäherung der Feind der Wahrhaftigkeit.
    In Wirklichkeit schneit es, ja, es schneit in dieser Geschichte, es schneit in Prag, es schneit in New York, in Berlin. Ich traf mich mit Giulia in New York und damals schneite es nicht. Damals erzählte Giulia, wie gern sie wieder einmal nach Hause fahren würde.
    Giulias Besuch in Prag fiel, den Umständen geschuldet, in die Winterzeit, um Weihnachten herum. Ich erinnere mich, bei Giulias Besuch in Prag fiel Schnee. An diesem Tag erzählte Giulia nicht von vergangenen und künftigen Erfolgen, von Plänen, die ihr in allernächster Zeit zu ihrem großen Lebenserfolg verhelfen würden; an diesem Tag sprach sie weder von Übungen, die schlanke und jugendliche Figur zu erhalten, noch über Individualität. Sie sprach nur über die Poesie des Schnees. Schon damals nahm ich daran Anstoß und fragte sie: Was denn, schneit es in New York nicht? Freilich, auch dort schneit es. Wie könnte Giuliazulassen, dass dort, wo sie ist, etwas fehlt! Aber das ist nicht der Schnee, den Giulia im Sinn hat, nicht der

Weitere Kostenlose Bücher