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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milada Součková
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durch Zufall dahinter: als ich mit ihr ins Kino wollte, gestand sie, sie könne nicht mit, weil sie kein Glas (Lorgnon) bei sich habe, ohne das sie im Kino nichts sehe.
    So oft hunderttausend Sohlen Schneematsch auf dem Asphalt breittreten, zieht es mich von den Schaufensterkulissen, wo im Schein Tausender Volt künstlicher Schnee fällt, zieht es mich, in Prag, Berlin, Paris, zieht es mich immer zu den vom Schnee feuchtgeworden Anschlagzetteln.
    Der Schnee durchnässt die Anschlagzettel, gibt ihnen Frische, als wären sie gerade angeklebt, feucht noch vom Kleister. Ich möchte erfahren, wo man heute die Kulisse sehen kann, vor der eine schlanke Gestalt im Brokatfrack auftritt, an dem Tausende Blicke haftenblieben. Feuchte Schneeflocken tauen mir auf den Lippen und ich trinke im Geist all die Limonaden der Opern- und Theaterbuffets inPrag, Paris, Milano, Berlin. Vor mir pappt Schnee am frischen Plakat einer Gala-Vorstellung. In der Oper geben sie Butterfly – in Paris, in Prag, in Berlin, in Wien, in New York.
    Ich mochte die japanische Kulisse nicht, ich hatte sie nie gern, auch wenn vor ihr die schönsten europäischen Stimmen erschallten. Auch wenn in den Zeitungen stand, die Sängerin trug einen echten, kostbaren japanischen Kimono. Wie viele wirkliche Geschichten könnte ich Ihnen über Sängerinnen und ihre Kimonos erzählen!
    Tausende Sohlen treten den Schneematsch auf dem Asphalt breit. Ich biege in eine Nebenstraße ein, in Prag, Paris, Berlin, wo der Schnee langsamer taut, in die Nebenstraße mit dem versteckten Theater, die Nebenstraße mit dem versteckten Restaurant, der versteckten Ausstellung, wo der Schnee unter den Schuhen des in Europa studierenden Japaners langsamer taut. Ich gehe mit ihm in dieselbe Richtung. Vor einer Weile haben wir beide die Hauptstraße überquert, wo der von Tausenden, Hunderttausenden breitgetretene Schnee taut. Wir sind beide an einer Konfektionsauslage vorübergegangen, mit Schnee auf dunkelblauen Taftkleidern, mit künstlichen Blumen. Ich höre die wunderschöne Stimme, eine Romanze singend, sie ist so künstlich, wie künstlicher Schnee in einem Konfektionsschaufenster. Das ist kein Schnee, der in einer Nebenstraße in Prag, Berlin, Paris, New York, Tokio unter den Schuhsohlen des Japaners taut, er geht mit mir in dieselbe Richtung. Ich weiß nicht, wohin er geht, ich kann das nicht wissen. Vielleicht verkürzt er sich den Weg ins Museum, vielleicht geht er in ein billiges Restaurant, ich weiß es nicht, vielleicht steht er auch vor einem vom Schnee durchnässten, abgerissenTheaterplakat, ähnlich einem weggeworfenem Prospekt. Vielleicht sucht er den Weg zu einem versteckten Theater, wo sie nicht Rosenkavalier, Carmen oder Butterfly spielen, sondern »Europäische Oper«.
    Beide zertreten wir, nur mit wenigen anderen Leuten, den Schnee in der Nebenstraße. Beide, in den Ohren gellt der Lärm der Großstadtkulisse, suchen wir den Weg, treten den Schnee vor einem versteckten Bäckerladen breit.
    Giulia hat sich durch das Zerschneiden steifer Messgewänder und Nähen des Brokats die Finger blutig gestochen. Vor dem Bäckerladen einer Seitenstraße in Bern, in Genf, denken wir, durch den Schnee stapfend, an den Magen, der Japaner und ich, beide dachten wir vielleicht, beide hörten wir
    keine Nacht ist lang –
    beide, der eine vielleicht mit dem Gefühl der Verzweiflung, der andere mit dem Gefühl der Sehnsucht, mit Schneetränen, auf den Gesichtern tauend, mit Schneeküssen, tauend auf den Lippen.
    Giulia begleitete ihre Freundin zu einem Weinlager in einer Nebenstraße, sie redeten über Giulias Erfolg. Vielleicht träumen auch wir, der Japaner und ich, den Schnee in einer Berliner oder Pariser Seitenstraße breittretend, vom Erfolg: anders als Giulia? Wo ist da der Unterschied?
    Wir entfernen uns von der Hauptstraße, von der Oper,
    wo hunderttausend Leute den Schneematsch auf dem Asphalt breittreten. Suchen wir ein Museum in Paris?, ein Theater in Berlin?, eine Buchhandlung in Wien?, einen Vortragssaal?, oder gehen wir nur durch eine Prager Seitenstraße?

FORTSETZUNG: DIE GRÜNEN WEIDEN
    In diesen Seitenstraßen sind kleine Kinos, die für Bewohner des Viertels spielen; für Leute, die nicht in die Premierenkinos gehen. Sie spielen auch für Besucher, die durch die merkwürdigsten Zufälle und Schicksale dorthin geraten. Es ist immer ein und derselbe Ort, ob in Paris, Berlin oder Prag. Keine romantisch versteckte Ecke, nein, es ist eine gewöhnliche, asphaltierte

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