Bélas Sünden
mit ihrem Vater zu verbieten. Selbst wenn sein Schwiegervater ihm heftige Vorhaltungen gemacht hätte, so eine Gewaltaktion passte nicht zu Heinz. Es musste etwas Gravierendes vorgefallen sein, um den normalerweise sanften Heinz in einen Berserker zu verwandeln.
Natürlich hielt Meta sich nicht an sein Verbot. Außer ihrem Vater hatte sie keine Angehörigen mehr. Seit dem Rauswurf suchte er sich die Sonntage aus, an denen Heinz mittags zur Schicht fuhr. Ich konnte vorhersagen, wann ihr Vater kam. Dann schickte Meta kurz vorher sicherheitshalber die Kinder auf den Spielplatz. Aber so hundertprozentig sicher war das wohl nicht. Vermutlich hatte Marion etwas mitbekommen und es ihrem heiß geliebten Papa erzählt.
»Am Dienstag«, fuhr Sonja in ihrer Aufzählung fort,»haben sie sich gezankt, weil Meta keine Zeit hatte, sich zu waschen. Heinz hat gesagt, er isst im Wohnzimmer, wenn er mit ihr an einem Tisch sitzt, vergeht ihm der Appetit, sie stinkt wie eine Misthummel. Am Mittwoch haben sie sich gezankt, weil Heinz sich wieder ein Motorrad kaufen will. Er hat gesagt, dann kann er in den Himmel fahren. Und Meta hat gesagt, er soll sich bloß nicht einbilden, dass sie die Beerdigung bezahlt. Gestern…«
»Und du kommst hier alleine klar?«, unterbrach ich sie.
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung, strahlte mich an.
»Ja, was denkst du denn?!« Dann kam das Übliche:
»Gute Nacht, Mutti«, und sie verschwand im Bad.
Ich saß noch eine Weile am Küchentisch, starrte das Papier an, versuchte, ein bisschen vom Text zu lesen. Liebe, Lust und Leidenschaft. Die Worte verschwammen mir vor den Augen. Fischdose! Misthummel! Völlig Unrecht hatte Heinz nicht. Meta hatte schon früher nicht viel Wert auf ihr Äußeres gelegt, das war in den letzten Jahren schlimmer geworden. Sie vernachlässigte sich total, lief wochenlang im selben Kleid herum, dass man sich auch mal waschen konnte, schien sie vergessen zu haben.
Sogar Sonja, die normalerweise für Meta durchs Feuer ging, bemerkte oft, wenn sie morgens zu mir ins Bad kam, den feinen Unterschied.
»Hm, du duftest wieder, Mutti.
Kannst du Meta nicht mal eins von den kleinen Parfümfläschchen mitbringen, die ihr immer an die Kunden verschenkt? Sie hat ja nicht so viel Geld, sie kann sich das bestimmt nicht kaufen.«
Am mangelnden Geld allein konnte es nicht liegen. Es gab ja auch preiswerte Pflegeprodukte. Abgesehen davon verdiente Heinz genug und gab für sich selbst kaum etwas aus. In den Himmel fahren, dachte ich, um Gottes willen. Er konnte doch nicht ernsthaft daran denken, sich umzubringen.
Ich fand plötzlich, dass es an der Zeit war, einen dicken Schlussstrich zu ziehen. Ich wusste nur nicht, wie ich es anstellen sollte. So anstellen, dass ich mir einreden durfte, es sei die heroische Entscheidung zum Verzicht und nicht der bloße Wille, frei zu sein für einen Mann, von dem ich nicht wusste, ob ich ihn überhaupt noch einmal wiedersah.
Den Neunzehn-Pfennig-Mann nannte ich Béla im Stillen und fragte mich das ganze Wochenende, ob Sabine mit ihrer Bemerkung über das andere Ufer richtig lag. Ob es sinnvoll war, sich mit solch einem Mann zu beschäftigen, wenn auch nur in Gedanken. Der Blick, mit dem der Blonde ihn betrachtet hatte, war tatsächlich komisch gewesen. Nein, nicht komisch, zärtlich! Béla kam zwei Wochen später wieder ins Geschäft. Diesmal wartete vor der Tür kein Wagen auf ihn. Er steuerte, wie schon beim ersten Besuch, zielstrebig auf ein Regal zu. Diesmal beabsichtigte er, ein Deo zu erwerben. Damit kam er zu mir an die Kasse.
Es war nicht viel los. Ich hätte ihn gern in ein längeres Gespräch verwickelt, nur wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Ihn an die neunzehn Pfennig erinnern? Es wäre eine Möglichkeit gewesen, aber ich wollte nicht kleinlich wirken. Ich wollte Eindruck machen, er sollte heimgehen und an mich denken. So wie ich an ihn. Ein bisschen nacktes Fleisch in den Gedanken. Den Moment, wo man mit Fingern, die steif und zittrig sind, weil es das erste Mal ist, einen Hemdenknopf öffnet. Oder den Knopf einer Jeans. Und die Hand unter den Stoff schiebt, die warme Haut fühlt. Und wie es unter der Hand fest wird. Er war so jung, so schön und so männlich. Er durfte nicht schwul sein. Béla zahlte mit einem Zehnmarkschein, nahm das Wechselgeld in Empfang und schob mit einem winzigen Lächeln zwei Groschen zurück. Dieser Akzent! Ich bekam eine Gänsehaut, als er sich ein bisschen tiefer beugte, sein Lächeln intensivierte
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