Bélas Sünden
Frau und Kind. Doch schon nach kurzer Zeit bekam Anita Sehnsucht nach ihren Kindern, nach dem pflegeleichten Herrn Ludwig, vermutlich auch nach dem Eigenheim. Es war nicht jedermanns Sache, sich mit der großen Leidenschaft in einem billigen Pensionszimmer einzuquartieren und dort stundenlang herumzusitzen, weil der Mann fürs Leben viel unterwegs war, um ein Lokal auszukundschaften, in dem die Gäste gerne ein bisschen Musik hören wollten. Das Geld auf dem Sparbuch würde nicht ewig reichen. Knapp zwei Wochen hielt Anita durch. Dann fiel ihr plötzlich ein, dass das dritte Kind nur von ihrem Mann sein konnte. Da war es Béla, der einen ausgeräumten Schrank und ein Zettelchen fand. Und dann stand er nachts neben unserem Bett. Verletzt, zerknirscht und voller Reue. Ich hatte eine hässliche Zeit hinter mir, in der mir nicht einmal mehr der Gedanke gekommen war, die Kneipe aufzugeben. Es war diesmal auch kein Stoff für eine Kurzgeschichte, keine Idee, das Elend und die Verzweiflung in Worte zu fassen und ein hübsches Honorar dafür zu kassieren. Völlig leer und tot im Kopf war ich und hohl hinter den Rippen. Ich hatte nur ein paar Mal flüchtig darüber nachgedacht, Anitas Kind aufzuziehen. Wenn Béla denn unbedingt ein eigenes haben musste. Es war halb vier in der Nacht, als er heimkam. Ich hatte ihn nicht kommen hören, erwachte, als er die Hände um mein Gesicht legte, war zu überrascht und hatte nicht die Kraft, wütend zu werden. Zuerst dachte ich, dass ich nur träumte, aber seine Küsse schmeckten nach Salz. Er weinte, ich hatte ihn noch nie weinen sehen. Ich schlang die Arme um seinen Nacken und hielt ihn fest, ließ mich küssen und streicheln, hörte sein Stammeln:
»Liska, mach ein bisschen Platz. Und sag jetzt nicht mein Freund.«
Ich sagte nicht mein Freund, auch sonst nichts, ich hatte nicht den Atem, etwas zu sagen. Die Ludwigs versöhnten sich ebenfalls, wie Heinz es vorausgesagt hatte. Ein Jahr später sah ich Anita einmal mit dem Kinderwagen in der Stadt. Ich hätte gerne einen Blick hineingeworfen. Sie hatte einen Sohn bekommen, das wusste ich von unseren Gästen. Es gab ein paar darunter, die sich spitze Bemerkungen hin und wieder nicht verkneifen konnten. Ich wollte nur sehen, ob der Kleine dunkelhaarig war. Aber Anita wechselte die Straßenseite, als sie mich kommen sah. Dann eben nicht. Meta erzählte mir später, der Junge sei rothaarig – wie sein Vater. Ich stellte eine neue Kellnerin ein, keine junge, keine hübsche, nur eine tüchtige. Nach außen hin schien alles wie früher, aber so war es nicht mehr. Béla war stiller geworden und nachdenklicher. Wenn er sich unbeobachtet fühlte, bekam sein Blick etwas Weites, so weit, dass man sich darin verlieren konnte. Ich wusste lange Zeit nicht, was es war. Als ich es endlich begriff – war es nicht mehr zu ändern. Ich sprach einmal mit meinem Arzt darüber. Es gab Möglichkeiten, die durchtrennten Eileiter wieder zusammenzufügen. Mikrochirurgie, aber die Aussichten auf Erfolg waren minimal. Und ich ging auf die Vierzig zu. Es lohnte nicht mehr, sich solch einem Eingriff zu unterziehen. Béla fand sich damit ab, dass er nie ein eigenes Kind haben würde, jedenfalls nicht von mir. Und von einer anderen wollte er nichts mehr. Wir saßen die restliche Zeit in der Bruchbude ab, sparten ein kleines Vermögen zusammen und schauten uns beizeiten nach einem neuen Lokal um. Den Pachtvertrag zu verlängern, wäre uns beiden nicht in den Sinn gekommen. Wir fanden unseren Prachtbau in der Herderstraße, alles ganz neu. Bei der ersten Besichtigung waren noch die Handwerker im Haus. Beim Innenausbau durfte Béla mitplanen. Als er zum ersten Mal vor dem großen Bogen Millimeterpapier saß, schaute er plötzlich auf.
»Weißt du, was ich denke, Liska? Es ist gut so. Jetzt sind wir beide allein. Wir müssen nicht nachdenken über das, was Kinder wollen und brauchen. Willst du einen Kamin im Wohnzimmer, Liska? Soll ich Heinz fragen, ob er einen bauen kann?«
Sonja wollte nicht mitkommen. Ich hatte sie gefragt, sie schüttelte nur den Kopf.
»Nein, Mama. Die nächste Pleite kannst du allein erleben. Ich suche mir ein Zimmer in Köln oder eine kleine Wohnung. Vorausgesetzt, ich bekomme den Studienplatz dort. Wenn nicht, ich gehe auch nach Berlin oder sonst wohin, ist mir vielleicht sogar lieber.«
Nach Berlin musste sie nicht gehen. Sie bekam ihren Studienplatz in Köln, bekam durch Vermittlung von Andreas auch eine kleine Wohnung, die sie sich mit
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