Belgarath der Zauberer
unterscheiden?«
Es war nicht nötig, mich so zu beleidigen! Verärgert und halb erfroren erhob ich mich, konnte durch den Schnee aber nichts sehen.
Ich ging um das Gebilde herum, das ich für einen Steinhaufen gehalten hatte.
»Du wirst zu einem glatten, grauen Stein gelangen«, sagte die Stimme. »Er ist etwas größer als du und breiter, als du die Arme ausstrecken kannst.«
»Na gut«, sagte ich mit klappernden Zähnen, als ich den beschriebenen Stein gefunden hatte. »Was jetzt?«
»Sag ihm, er soll sich öffnen.«
»Was?«
»Sprich zu dem Stein«, sprach die Stimme geduldig, ohne darauf zu achten, daß ich allmählich zu Eis erstarrte. »Befiehl ihm, sich zu öffnen.«
»Befehlen? Ich?«
»Du bist ein Mensch. Das ist nur ein Fels.«
»Was soll ich sagen?«
»Sag ihm, er soll sich öffnen.«
»Das halte ich für ausgemachten Unsinn, aber ich werd’s trotzdem versuchen.« Ich stellte mich vor den Stein, »öffnen«, befahl ich halbherzig.
»Das kannst du bestimmt besser, Kodar?«
»Öffnen!« brüllte ich.
Der Stein glitt zur Seite.
»Komm rein. Junge«, sagte die Stimme. »Steh nicht draußen in dem schlechten Wetter wie ein durchnäßtes Kalb. Es ist ziemlich kalt.« Hatte er das jetzt erst gemerkt?
Ich gelangte in eine Art Vorhalle, in der sich nichts weiter befand als eine Wendeltreppe, die nach oben führte. Seltsamerweise war es nicht dunkel obwohl ich nicht erkennen konnte, woher das Licht kam.
»Schließ die Tür, Junge.«
»Und wie?«
»Wie hast du sie geöffnet?«
Ich wandte mich der gähnenden Öffnung zu und befahl ziemlich stolz auf mich: »Schließen!« Auf meinen Befehl hin schob der Stein sich wieder vor den Eingang – mit einem mahlenden Geräusch, das mir das Blut noch kälter werden ließ, als der tobende Sturm es getan hatte. Ich war gefangen! Meine plötzliche Panik verflog, als ich feststellte, daß ich zum erstenmal seit Tagen wieder trocken war. Nicht einmal eine Pfütze zu meinen Füßen konnte ich entdecken! Irgend etwas Seltsames ging hier vor.
»Komm herauf. Junge«, befahl die Stimme.
Mir blieb keine Wahl. Ich stieg die Stufen hinauf, an denen unzählige Jahrhunderte nicht spurlos vorübergegangen waren, und machte mich ein wenig ängstlich auf den Weg nach oben. Der Turm war sehr hoch, und es dauerte eine Weile, bis ich an seiner Spitze angelangt war.
Dort befand sich ein gemütlicher Raum, der mit allerlei wundervollen Dingen angefüllt war. Ich betrachtete Gegenstände, die ich nie zuvor gesehen hatte. Ich war damals noch sehr jung und hegte noch immer die Gedanken eines Diebes. Sicher wird Polgara dieses Geständnis höchst amüsant finden.
Neben einem Feuer – das brannte, ohne daß ihm irgendein brennbares Material zugeführt wurde, wie ich beobachtete – saß ein uralter Mann, der mir auf seltsame Weise bekannt vorkam. Sein Bart war lang und voll und so weiß wie der Schnee, der mich beinahe getötet hätte, doch seine Augen wirkten ewig jung. Ich glaube, es waren die Augen, die mich an irgend jemanden erinnerten; ich wußte nur nicht, an wen. »Nun, Junge«, sagte er, »hast du dich entschlossen, nicht zu sterben?«
»Wenn es nicht unbedingt nötig ist«, erwiderte ich tapfer, und nebenbei listete meine Diebesseele noch immer die Gegenstände in dem Raum auf.
»Brauchst du etwas?« fragte er. »Ich bin nicht vertraut im Umgang mit deiner Rasse.«
»Etwas zu essen wäre nicht schlecht«, erwiderte ich. »Ich habe seit zwei Tagen nichts mehr zu mir genommen. Und einen warmen Platz zum Schlafen, wenn es Euch nichts ausmacht.« Ich hielt es für besser, mir das Wohlwollen des alten Mannes nicht zu verscherzen; deshalb sprach ich rasch weiter. »Ich werde Euch keine Mühe bereiten, Meister, und ich kann mich nützlich machen.« Das war eine geschickte kleine Rede. In den Monaten, die ich mit den Tolnedrern verbrachte, hatte ich gelernt, mich bei Leuten einzuschmeicheln, die mir nützlich sein konnten.
»Meister?« sagte er und lachte so fröhlich, daß ich am liebsten getanzt hätte. Wann hatte ich zum letztenmal ein Lachen vernommen? »Ich bin nicht dein Meister, Junge«, sagte er. Dann lachte er wieder, und mein Herz jubelte aus Freude über seine Heiterkeit. »Und nun wollen wir uns um deine Nahrung kümmern. Was brauchst du?«
»Etwas Brot vielleicht – nicht zu alt, wenn möglich.«
»Brot? Nur Brot? Dein Magen kann doch gewiß mehr vertragen als nur Brot. Wenn du dich nützlich machen willst, wie du es versprochen hast, müssen wir dich
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