Belial
erklomm er Sprosse für Sprosse. Es gab keinen mehr, der ihm den Weg zum Ziel streitig machen wollte. Sollte die Hintertür oben verschlossen sein, er würde sie leicht eintreten können.
Davor blieb er stehen, drehte den Kopf und warf einen letzten Blick zurück. In dieser Gegend hielten sich kaum Gäste auf, und wenn, dann tanzten sie nicht, sondern standen zusammen und versuchten, sich zu unterhalten, was bei diesem Lärm nicht so einfach war. In der Kanzel würde es anders sein, das Glas war dick und schallgedämpft.
Belial nickte. Dann legte er seine Hand auf die Türklinke.
Einen Moment später zerrte er die Tür auf, und nun betrat er das Allerheiligste des DJ. Jetzt war er fast am Ziel…
***
Noch jemand war auf der Suche – Raniel, der Gerechte!
Über London hatte die Nacht ihren dunklen Mantel ausgebreitet, und Raniel streunte durch die Finsternis, die oft genug von grellen, bunten Lichtern durchbrochen wurde. Das ließ beinahe vergessen, daß es Nacht war.
In dieser künstlich wirkenden Umgebung bewegte er sich weiter. Er achtete nicht auf die anderen Menschen, deren Gestalten und Gesichter schemenhaft an ihm vorbeiglitten. Sein Gedanke galt einzig und allein dem Engel der Lügen, der großen Gefahr für London, dem lügnerischen, mordgierigen Leibwächters Luzifers, der geschickt worden war, um das Chaos über die Menschen zu bringen.
Raniel spürte den anderen. Er war da. Er gehörte selbst zu den unerklärlichen Personen. Halb Engel, halb Mensch. Er war in der Lage, Grenzen zu überwinden, doch in diesem Fall bewegte er sich voran wie jeder andere Mensch auch.
Die Aura des Bösen hatte ihn in ein bestimmtes Gebiet hineingetrieben, in ein Ghetto, das zu einem Sammelplatz junger Menschen geworden war.
Raniel konnte es noch nicht richtig nachvollziehen. Er hatte die Glitzerwelt der City verlassen und bewegte sich durch düstere Gegenden, wo Menschen lebten, die bei offenen Fenstern schliefen.
Die Dunkelheit war ein Schutz für ihn, aber auch für seinen Gegner.
Nahe einer kleinen Grünfläche blieb der Gerechte stehen. Er war an einem Punkt angelangt, wo er sich entscheiden mußte. Raniel wußte genau, daß sein Freund nicht mehr weit von ihm entfernt war. Er roch die Fluten der Themse. Jenseits der Grünfläche huschten immer wieder helle Streifen dicht über den Belag einer Straße hinweg. Dahinter, jenseits der Grünfläche, da mußte er sich irgendwo aufhalten. Da hatte er sein Ziel gefunden.
Raniel wartete nicht mehr. Er durchquerte den kleinen Park. Mit seinem empfindlichen Gehör nahm er etwas wahr, was eigentlich nicht so recht paßte. Es war Musik.
Keine Melodie, ein hartes Wummern und Dröhnen.
Der Gerechte wartete noch einen Moment. Seine Nasenflügel blähten sich, als wollte er den Geruch seines Feindes aufsaugen. Dann ging er, und sein Ziel lag dort, wo er die Musik gehört hatte.
Er würde Belial finden und stellen. Wobei er nur hoffte, daß er noch Hilfe bekam, denn allein gegen Belial anzugehen, war nahezu unmöglich…
***
Auf der Fahrt in Richtung Süden war meine Hoffnung doch ziemlich gesunken, den Engel der Lügen rasch zu finden. Ich glaubte nicht daran, daß der städtische Moloch ihn so rasch freigeben würde. In London befand er sich in einer Welt, in der er praktisch alles hatte. Verstecke und Menschen.
Mehr brauchte er nicht. Es war sein äußerer Kosmos, von dem aus er in das Innere würde vorstoßen können.
Große Hoffnung setzte ich auch auf den Jungen, aber Billy verhielt sich stumm. Ab und zu sah ich sein Gesicht im Innenspiegel. Es war völlig ohne Ausdruck, glatt und nicht mal nachdenklich. Billy kam mir vor wie jemand, der sich in sein Schicksal gefügt hatte, dem es egal war, wohin er gebracht wurde.
Auch darüber dachte ich nach und fragte mich, ob ich mich vielleicht geirrt hatte. Möglicherweise war er doch nicht der große Trumpf, auf den wir setzten. Vielleicht steckte er auch mit Belial unter einer Decke oder wurde von ihm manipuliert, ohne daß er es selbst wußte.
Je mehr Zeit verstrich, um so dringender wurden die Fragen, die sich allmählich zu einem gewaltigen Berg hochtürmten. Als ich an einer Ampel hielt, blickte ich zurück.
Billy erwiderte meinen Blick nicht. Suko saß grüblerisch neben ihm. Auch er schwieg. Ich räusperte mich.
Billy schaute nicht hoch. Seine Hände lagen auf den Oberschenkeln. Er wirkte wie ein braver Schüler, dem der Lehrer Stillsitzen verordnet hatte.
Als ich ihn ansprach, zuckte er leicht zusammen.
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