Bell ist der Nächste
»Erwarten Sie, dass ich jetzt zu meinem Boss gehe und ihm erzähle, dass Alan Beckett, entweder aus eigenem Antrieb oder auf Bitten Callie Spencers, dafür gesorgt hat, dass Lucy Navarro gestern Abend verschwunden ist?«
Ich schob meinen Stuhl vom Tisch zurück und zuckte wegen der Schmerzen in meiner Seite zusammen.
»Nein«, sagte ich. »Das erwarte ich wirklich nicht.«
Langsam ging ich die Treppe der City Hall hinunter, ließ mir Zeit. Das schien zu helfen. Ich schlenderte den Gehsteig entlang, und der Schmerz wurde etwas schwächer. Das Ibuprofen, das ich genommen hatte, schien ihn in Schach zu halten. Auf das stärkere Zeug hatte ich verzichtet. Ich wollte wach bleiben.
Als ich an einer Fußgängerampel auf Grün wartete, holte ich mein Handy heraus und wählte Lucys Nummer. Ich hatte es bereits drei- oder viermal getan und wusste, was ich hören würde. Sie haben Lucy Navarro vom National Current erreicht …
Ich drückte auf den Aus-Schalter und rief Bridget Shellcross an.
»Ich bin fertig«, sagte ich.
»Als ich nichts mehr von dir gehört habe, dachte ich, du hast es dir anders überlegt«, sagte sie.
»Nein. Es hat bloß länger gedauert als gedacht. Sind wir immer noch im Geschäft?«
»Sind wir.«
»Gut. Ich bin jetzt auf dem Weg.«
Die Ampel wurde grün, ich klappte mein Telefon zu und machte mich auf die Suche nach John Casterbridge.
Es ist gar nicht so schwer, wie Sie glauben, einen US-Senator ausfindig zu machen.
Jeder, der bereit war, ein paar Nachforschungen anzustellen, hätte feststellen können, dass John Casterbridge eine Wohnung in der Gegend des Dupont Circle in Washington, D. C. gemietet hatte und eine weitere in Lansing, der Hauptstadt Michigans. Er besaß ein Haus in Grosse Pointe, das seit Generationen im Besitz der Familie war, und einen Bungalow in St. Ignace am Ufer des Lake Huron.
Man musste noch etwas intensiver nachforschen, um in Erfahrung zu bringen, dass dem Senator außerdem eine Eigentumswohnung in der Liberty Street in Ann Arbor gehörte. Das war mir nicht bekannt gewesen, aber ich hatte ihn Sonntagabend im Haus der Spencers gesehen und dann noch einmal am Montag, als er seinen Unfall hatte, also musste ich annehmen, dass er irgendwo in der Stadt wohnte. Ich fragte Bridget, die seit zwanzig Jahren in Ann Arbor lebte und alles wusste, was von Belang war.
Sie erzählte mir von der Eigentumswohnung. Sie befand sich in einem Gebäude aus Stahl und Beton, das sich Bridgewell Building nannte und vor sieben Jahren von Casterbridge Immobilien errichtet worden war. Die Wohneinheiten verkauften sich rasch, für eineinhalb Millionen das Stück. In einem der Apartments wohnte John Casterbridge ein paar Wochen im Jahr und nahm die meisten seiner Mahlzeiten im Seva Restaurant nebenan ein.
Am Restaurant vorbei ging ich auf das Bridgewell Building zu, als wäre ich selbst dort zu Hause. Die Glastüren öffneten sich geschmeidig, und ich trat in eine Eingangshalle, in der einige Plüschsessel standen. In der Nähe der Fahrstühle blubberte ein Springbrunnen: Wasser, das plätschernd über einen Haufen Flusssteine strömte.
Der junge Mann an der Rezeption wurde sofort munter, als er mich sah. Sein Anzug sah nicht teuer aus, stand ihm aber gut. Ich erwog, einfach zu den Fahrstühlen zu gehen, und fragte mich, ob er mir dann wohl folgen würde. Er sah danach aus.
Dass man mir folgte, war nicht Teil meines Plans.
Ich blieb an der Rezeption stehen und sagte: »Ich bin hier, um Senator Casterbridge zu sprechen.«
Der junge Mann sah mich ernst an. »Es tut mir leid, Sir. Der Senator möchte nicht gestört werden.«
»Rufen Sie ihn doch bitte an und sagen Sie ihm, dass ich hier bin. Ich heiße David Loogan. Er kennt mich.«
»Ich fürchte, ich kann ihn nicht anrufen, Sir.«
»Warum nicht?«
»Damit würde ich ihn bereits stören. Er möchte aber nicht gestört werden.«
Ich musste lächeln. »Sie sind sehr pedantisch.«
»Danke, Sir.«
»Das war kein Kompliment.«
Er glättete seine Krawatte. »Das weiß ich, Sir. Aber man erwartet von mir, dass ich geduldig und höflich mit den Leuten umgehe.«
»Das muss an manchen Tagen sehr anstrengend sein«, sagte ich. »Haben Sie von der Reporterin gehört, die gestern Abend auf dem Parkplatz vor dem Winston Hotel verschwunden ist?«
Er nickte. »Das habe ich in den Nachrichten gesehen.«
»Sie heißt Lucy Navarro. Sie arbeitet an einer Story über die Schwiegertochter des Senators.«
»Ich verstehe.«
»Ich würde doch sehr
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