Bell ist der Nächste
Display. Ich klappte es auf.
»Lizzie«, sagte ich. »Schön, dich zu hören.«
»Ich wollte dir nur sagen, dass es heute spät wird. Es gibt ’ne Menge Arbeit.«
»Nicht schon wieder die Bücherdiebe.«
»Nein, die nicht. Schlimmer. Eine Leiche in einer Wohnung an der Linden Street. Sieht so aus, als läge sie dort schon eine Weile.«
»Mord?«
»Mit einem Strick erwürgt. Das ist mir zumindest zu Ohren gekommen. Carter ist bereits dort. Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird.«
»Ich warte auf dich.«
»Das musst du nicht.«
»Trotzdem. Pass auf dich auf.«
Wir verabschiedeten uns, und ich klappte das Handy zu, aber es summte schon wieder, noch bevor ich es zur Seite gelegt hatte.
Ich klappte es wieder auf. »Ich bin nicht da.«
»Ich kann Ihre Füße am Fenster sehen«, sagte Bridget Shellcross. »Kommen Sie doch runter. Ich habe zwei Gimlets bestellt.«
»Sie sind der Boss.«
Ich schloss das Fenster, sammelte die Seiten der Story zusammen, an der ich gearbeitet hatte, und legte sie in eine Mappe.
Auf meinem Weg durch das Vorzimmer kam ich an einem Stapel Umschläge auf dem Empfangstisch vorbei. Manuskripte hoffnungsvoller Autoren. Ich ließ sie da liegen. Im Flur drehte ich mich um, weil ich die Tür abschließen wollte, und mein Blick fiel auf die schwarzen Lettern auf der Milchglasscheibe: GRAY STREETS. DAVID LOOGAN, REDAKTEUR.
Ich übersah beinahe den Umschlag im Flur, der neben der Tür lehnte. Er sah genauso aus wie alle anderen Manuskripte. Ich hob ihn auf und schob ihn mir zusätzlich zu der Mappe unter den Arm.
Fünf Stockwerke die Treppe hinunter, durch die Eingangshalle auf die Straße. Das Meer aus Menschen wirkte wie etwas aus einer Dritte-Welt-Metropole.
Im Juli läuft über einen Zeitraum von vier Tagen etwa eine halbe Million Menschen durch die Innenstadt von Ann Arbor. Sie sehen wie Touristen in einer fremden Stadt aus, die hauptsächlich kommen, um essen zu gehen und einzukaufen. Hamburger und Pizza, Kebabs und Schmalzgebäck. Skulpturen, Gemälde und handgefertigten Schmuck. Der berühmte Markt für Kunsthandwerk. Eine halbe Million Menschen, die zu einem Großteil direkt zwischen Bridget Shellcross und mir herumzuschlendern schien. Bridget hatte es irgendwie geschafft, einen Tisch vor dem Café Felix auf der anderen Straßenseite zu ergattern.
Als ich endlich bei ihr angelangt war, stand sie auf und küsste mich auf die Wange. Sie musste sich dafür auf die Zehenspitzen stellen. Bridget ist etwas über einsfünfzig groß, und dieses »etwas« beträgt ungefähr so viel wie die Breite eines Grashalms. Ihr braunes Haar ist kurz geschnitten und kunstvoll verstrubbelt, und obwohl sie in der Regel Schwarz trägt, hatte sie an diesem Abend eine elfenbeinfarbene Bluse und einen burgunderroten Rock an.
Bridget ist Krimiautorin, und vor ein paar Monaten wurde sie die Verlegerin von Gray Streets , nachdem sie der Witwe des früheren Inhabers das Magazin abgekauft hatte. Sie lässt mich die Dinge so steuern, wie ich es für richtig halte. Ich sehe sie fast nur, wenn wir uns treffen, um etwas zu trinken.
Ich legte den Umschlag und meine Mappe auf den Tisch, und wir setzten uns hin.
»Ist das Fletchers neue Story?«, fragte sie und nahm einen Schluck von ihrem Wodka Gimlet – vor mir stand auch einer, aber ich rührte ihn nicht an.
»Ja. Er hält sich für den neuen Raymond Chandler.«
Bridget blätterte die Seiten durch. »Sie haben da aber eine Menge dran gemacht.«
»Ich habe eine Theorie über das Redigieren. Man kann wirklich alles mit einem Manuskript machen, man kann es Satz für Satz umschreiben, solange man sehr klein und sehr ordentlich schreibt. Wenn die Seiten sauber aussehen, wird der Autor das abnicken.«
»Das ist Ihre Theorie?«
»Es hilft natürlich, wenn der Verleger einem den Rücken stärkt.«
»Ziehen Sie mich da bitte nicht mit rein.«
Ich nahm ihr die Seiten wieder ab. »Glauben Sie, Fletcher wird protestieren?«
»Ich glaube, er wird Zeter und Mordio schreien, aber ich habe den Mann nie persönlich kennengelernt. Machen Sie es so, wie Sie wollen. Wenn es ihm nicht gefällt, soll er die Story doch an Ellery Queen schicken. Dann soll er mal sehen, wie weit er bei denen kommt.«
Die Kellnerin hatte auf eine Pause in unserem Gespräch gewartet. Jetzt fragte sie mich, ob mein Wodka Gimlet nicht in Ordnung sei.
»Nein, der ist völlig in Ordnung«, erwiderte ich. »Aber irgendwie scheint er sich verlaufen zu haben.« Ich schob ihn Bridget zu, die ihr
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