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Bell ist der Nächste

Bell ist der Nächste

Titel: Bell ist der Nächste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Dolan
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nichts. Der erste Satz reichte schon, der Rest waren Nebensächlichkeiten.
    Ich kehrte zum Anfang zurück und las ihn noch einmal, einen schlichten Aussagesatz:
    Ich habe Henry Kormoran in seiner Wohnung an der Linden Street getötet.

5
    Die Wohnung hatte eine stahlgraue Tür, und die Nummer (105) stand auf einem Schild über dem Türspion. Das Erste, was Elizabeth Waishkey erblickte, als sie eintrat, war ein umgekippter Stuhl in der Küche. Dann ein Steakmesser und Bluttropfen auf dem Linoleum.
    Die Unordnung setzte sich im Wohnzimmer fort, wo sich ein billiger Couchtisch auf drei Beinen zur Seite neigte. Das vierte Bein lag fast in der Mitte des Zimmers, vor dem mit Gas betriebenen Kamin. Daneben lag eine vergilbte Fotografie, deren obere Ecken abgerissen waren.
    Die Glasfront des Kamins funkelte im Licht. Im Fernsehen lief CNN, der Ton war auf stumm gestellt.
    Auf dem Sofa lag ein Lampenschirm. Elizabeth sah sich nach der Lampe um. In einem schmalen Korridor, der vom Wohnzimmer abging, fand sie die zerbrochenen Reste einer Glühbirne. Zwei Türen am Ende der Diele, und aus einer blitzte Licht.
    Sie rief nach Carter Shan, um ihm Bescheid zu geben, dass sie da war.
    Von der Tür aus konnte sie Shan sehen, der am Fuß des Bettes stand und mit einer Digitalkamera ein Motiv fixierte. Die Stirn unter seiner Bürstenfrisur war gerunzelt, als er auf den Auslöser drückte. Der Blitz erhellte das Zimmer.
    Auf dem Nachttisch neben dem Bett lag ein Portemonnaie. Darin fand Elizabeth einen Führerschein mit dem Foto eines Mannes, der ein schlichtes, freundliches Gesicht hatte und Augen, die für die Kamera funkelten. Henry Kormoran, als er noch lebte.
    Jetzt war sein Gesicht nicht zu sehen. Sein Körper lag bäuchlings auf dem schmalen Bett. Er trug ein Harley-Davidson- T-Shirt und eine Jogginghose. Weiße Socken mit einem Loch in einer Ferse. Auf seinem Scheitel war eine kahle Stelle, und eine Fliege summte um diesen kreisförmigen fahlen Fleck auf seinem Kopf.
    Im Flur war der Geruch noch schwach gewesen, aber jetzt war er stark. Übel und süß, der Geruch von Verwesung. Es hätte noch mehr gestunken, hätte die Klimaanlage nicht funktioniert. Draußen herrschte Hitze, aber hier drinnen war die Luft kühl.
    Die Lampe, nach der Elizabeth gesucht hatte, lag auf dem Bett neben der Leiche. Ihre Schnur war um Kormorans Hals gewickelt.
    Shan trat um das Bett, um ein weiteres Foto zu machen. »Du hast das Chaos da draußen gesehen«, sagte er.
    »Hab ich.«
    »Sieht so aus, als hätte der Kampf in der Küche begonnen. Das Blut auf dem Fußboden, also das ist, glaube ich, nicht seines. Ich kann keine Einstiche bei ihm entdecken.«
    »Du glaubst, er hat nach dem Steakmesser gegriffen, um sich zu verteidigen.«
    Shan nickte. »Und hat den Angreifer getroffen. Dann sind sie ins Wohnzimmer. Einer greift den anderen an, sie fallen über den Couchtisch, schmeißen dabei die Lampe um. Kormoran kann sich befreien, läuft durch den Flur.«
    »Sein Angreifer wirft die Lampe nach ihm. Dabei geht die Glühbirne kaputt.«
    »Kormoran erreicht das Schlafzimmer, aber er kann die Tür nicht mehr abschließen. Der Mörder drückt sie auf. Er hat die Lampe. Er schlägt damit auf Kormoran ein – in Kormorans Haar findet sich getrocknetes Blut. Dann schlingt er die Schnur um Kormorans Hals und erwürgt ihn damit.«
    Der Blitz der Kamera erleuchtete das Zimmer.
    »Hast du Eakins angerufen?«, fragte Elizabeth.
    »Sie ist auf dem Weg.« Lillian Eakins, die Gerichtsmedizinerin.
    Nach einem letzten Blick auf Kormorans Führerschein schob Elizabeth ihn in das Portemonnaie zurück.
    »Wie lange, glaubst du, liegt er hier schon?«
    Detective Carter Shan beugte sich vor, um eine Nahaufnahme vom Hals zu machen. Er war ein schlanker, ernst wirkender Mann von mittlerer Größe, dessen Schlips ans Hemd geklemmt war und der die Ärmel bis zu den Ellbogen aufgekrempelt hatte.
    »Länger als einen Tag«, sagte er, »aber weniger als zwei.«
    »Woraus schließt du das?«
    »Die Augen sind trüb. Die Leichenstarre ist eingetreten und hat sich wieder gelöst. Hände und Gesicht beginnen gerade erst anzuschwellen. Fliegen auf ihm, aber Larven sind nicht zu sehen.«
    »Das ist alles sehr wissenschaftlich.«
    Er ließ die Kamera sinken und lächelte schwach. »Außerdem hat seine Schwester vor beinahe genau achtundvierzig Stunden mit ihm gesprochen. Etwa um sechs am Montag. Sie hat sich mit ihm für gestern zum Mittagessen verabredet, aber er ist nicht gekommen. Sie

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