Belladonna
Mann vor sich, den er als Wright kannte.
«Er hat unter verschärften Haftbedingungen gesessen, wussten Sie das?»
Jeffrey nickte abermals.
«Viele Männer versuchen, dagegen anzukämpfen. Andere geben einfach auf.»
«Mir bricht das Herz», murmelte Jeffrey. «Hatte er viele Besucher im Gefängnis?»
«Nur seine Mutter.»
Jeffrey schloss die Akte und gab sie zurück. «Und was war, als er aus dem Gefängnis kam? Offenbar hat er das Depo abgesetzt. Und er hat wieder vergewaltigt.»
«Er sagt, er hat es nicht getan, und bei der ihm verordneten Dosis hätte er beim besten Willen keinen mehr hoch
bekommen.»
«Wer hat ihn kontrolliert?»
«Er hat in Eigenverantwortung gehandelt.» Sie hielt ihn zurück, bevor er etwas hätte sagen können. «Hören Sie, ich weiß, es ist keine ideale Lösung, aber manchmal müssen wir ihnen auch vertrauen. Und manchmal irren wir uns. Bei Wright haben wir uns geirrt.» Sie warf den Ordner auf den Schreibtisch.
«Inzwischen geht er in die Klinik und bekommt einmal die Woche sein Depo injiziert. Alles sauber und ordentlich. Die Überwachungsmanschette, die Sie freundlicherweise
kaputtgemacht haben, sorgte dafür, dass er immer unter Aufsicht stand. Er war auf Vordermann.»
«Und er hat die Stadt nicht verlassen?»
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«Nein», antwortete sie. «Ich hab am vergangenen Montag an seinem Arbeitsplatz einen Kontrollbesuch gemacht. Er war im Bank Building.»
«Ist ja sehr aufmerksam von Ihnen, dass er so nahe bei all diesen Studentinnen arbeiten darf.»
«Passen Sie auf, was Sie sagen», mahnte sie.
Er streckte ihr die erhobenen Handflächen entgegen.
«Schreiben Sie mir alle Fragen auf, die Sie gestellt haben möchten», sagte sie. «Ich werde mit Wright sprechen.»
«Ich muss aber von seinen Antworten ausgehen.»
«Theoretisch bräuchte ich Sie hier gar nicht hereinzulassen.
Sie sollten froh sein, dass ich Sie nicht mit einem Tritt in den Hintern zurück nach Mayberry befördere.»
Er biss sich buchstäblich auf die Zunge, um nicht barsch zu kontern. Sie hatte ja Recht. Er konnte am nächsten Morgen ein paar Freunde bei der Polizei von Atlanta anrufen und würde besser behandelt werden, aber im Augenblick saß Mary Ann Moon am längeren Hebel.
Jeffrey sagte: «Darf ich vielleicht mal?» Er deutete auf ihren Schreibtisch. «Ich muss mich mit meinen Leuten in Verbindung setzen.»
«Ich kann von hier keine Ferngespräche führen.»
Er hielt sein Handy in die Höhe. «Es geht mir eher darum, ungestört zu sein.»
Sie nickte und wandte sich um.
«Danke», sagte er höflich, aber sie reagierte nicht. Er wartete, bis sie auf dem Flur ein Stück entfernt war, und schloss dann die Tür. Nachdem er über einige Kartons gestiegen war, setzte er sich an ihren Schreibtisch. Der Stuhl war sehr niedrig, und es kam ihm so vor, als berührte er mit den Knien die Ohren. Jeffrey sah auf seine Uhr, bevor er Saras Nummer wählte. Sie ging immer früh zu Bett, aber er musste sie unbedingt sprechen. Er
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war plötzlich sehr aufgeregt, als das Telefon klingelte.
Sie nahm beim vierten Klingeln ab. Ihre Stimme klang schlaftrunken. «Hallo?»
Er merkte, dass er den Atem angehalten hatte. «Sara?»
Sie blieb stumm, und einen Moment lang dachte er, dass sie wieder aufgelegt hätte. Er hörte, wie sie sich bewegte und dass Stoff raschelte: Sie lag im Bett. Er hörte übers Telefon, dass es draußen regnete und dass in der Ferne Donner grollte. Plötzlich musste Jeffrey an eine Nacht denken, die sie vor langer Zeit miteinander verbracht hatten. Sara mochte keine Gewitter und sie hatte ihn geweckt, damit er sie von Blitz und Donner ablenkte.
«Was willst du denn?», fragte sie.
Er überlegte, was er sagen sollte. Plötzlich dämmerte es ihm, dass er zu lange gewartet hatte, bis er sich wieder mit ihr in Verbindung setzte. Er konnte an ihrem Tonfall erkennen, dass sich in ihrer Beziehung etwas verändert hatte. Er wusste so recht nicht, was und warum.
«Ich hab schon versucht, dich zu erreichen», sagte er, und es kam ihm wie eine Lüge vor, obwohl es keine war. «In der Klinik», sagte er.
«Tatsächlich?»
«Hab mit Nelly gesprochen», sagte er.
«Hast du ihr gesagt, es sei wichtig?»
Jeffrey spürte ein flaues Gefühl im Magen, und er antwortete nicht.
Was von Sara kam, hielt er für ein Lachen.
Er sagte: «Ich wollte nicht mit dir sprechen, bevor ich nicht etwas in der Hand hatte.»
«Und was?»
«Ich bin in Atlanta.»
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Sie blieb einen Moment stumm und sagte dann:
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