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Belladonna

Belladonna

Titel: Belladonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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hielt inne, und er merkte, dass sie weinte. «Ich hab mich aber nie entschieden, verge waltigt zu werden.»
    Er wollte etwas sagen, aber sie ließ ihn nicht.
    «Was mir geschehen ist, hat fünfzehn Minuten gedauert.
    Fünfzehn Minuten, und all das andere war ausgelöscht. Nichts von alledem bedeutet noch etwas, wenn man an diese fünfzehn Minuten denk t.»
    «Das stimmt nicht.»
    «Nein?», fragte sie. «Und warum hast du mich dann heute Morgen nicht angerufen?»
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    «Ich hab's doch versucht -»
    «Du hast nicht angerufen, weil du in mir ein Opfer siehst. Du siehst mich so wie Julia Matthews und Sibyl Adams.»
    «Nein, Sara», entgegnete er, schockiert darüber, dass sie ihn dessen beschuldigte. «Ich sehe dich -»
    «Zwei Stunden lang habe ich damals auf dem Fußboden der Toilette gesessen, bevor sie mich losgebunden haben. Ich wäre beinahe verblutet», sagte sie. «Als er mit mir fertig war, war nichts mehr übrig. Absolut nichts. Ich musste mein Leben neu aufbauen. Ich musste mich damit abfinden, dass ich wegen dieses Hundesohns niemals Kinder haben könnte. Und daran, je wieder Sex zu haben, mochte ich absolut nicht denken. Und nach dem, was er mir angetan hatte, mochte ich auch nicht glauben, dass mich je wieder ein Mann würde berühren wollen.»
    Sie unterbrach sich. Er hätte so unendlich gerne etwas zu ihr gesagt, aber ihm fehlten die Worte.
    Mit leiser Stimme sagte sie dann: «Du me inst, dass ich mich dir nie anvertraut habe? Nun, dies ist der Grund dafür. Ich eröffne dir mein tiefstes und dunkelstes Geheimnis, und was tust du? Du verschwindest nach Atlanta, um dem Mann
    gegenüberzutreten, der das alles getan hat, statt dass du mit mir sprichst. Statt mich zu trösten.»
    «Ich dachte, du wolltest, dass ich etwas unternehme.»
    «Ich wollte, dass du etwas unternimmst», antwortete sie voller Traurigkeit. «Ja, das wollte ich.»
    Es klickte, als sie auflegte. Er wählte ihre Nummer noch einmal, aber es war besetzt. Noch fünfmal benutzte er die Wahlwiederholung, aber Sara hatte den Hörer daneben gelegt.

    Hinter dem Spiegel im Beobachtungsraum vergegenwärtigte sich Jeffrey noch einmal sein Gespräch mit Sara. Unsagbare Traurigkeit erfasste ihn. Er wusste, dass sie Recht hatte, was das
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    Anrufen betraf. Er hätte darauf bestehen sollen, dass Nelly ihn durchstellte. Er hätte zur Klinik gehen sollen, um ihr zu sagen, dass er sie noch immer liebte, dass sie noch immer die wichtigste Frau in seinem Leben war. Er hätte auf die Knie fallen und sie anflehen sollen, wieder zu ihm zurückzukehren.
    Er hätte sie nicht verlassen sollen. Nicht noch einmal.
    Jeffrey dachte daran, wie Lena vor ein paar Tagen das Wort Opfer gebraucht hatte, um damit die Beute von
    Sexualverbrechern zu beschreiben. Sie hatte dem Wort einen Beigeschmack gegeben und es so ausgesprochen, als hätte sie von ‹schwach› oder ‹dumm› geredet. Jeffrey hatte diese Einstufung durch Lena nicht gefallen, und besonders ungern hörte er sie von Sara. Er kannte Sara wahrscheinlich besser als jeder andere Mann, der ihr begegnet war, und er wusste, dass Sara höchstens Opfer ihrer vernichtenden Selbstkritik war. Als Opfer in dem anderen Kontext sah er sie nicht. Viel eher sah er in ihr eine Überlebende. Jeffrey war zutiefst getroffen, dass Sara so wenig von ihm zu halten schien.
    Moon unterbrach seine Gedanken und fragte: «Können wir langsam anfangen?»
    «Ja», antwortete Jeffrey. Er verbannte Sara aus seinen Gedanken. Unabhängig davon, was sie gesagt hatte, könnte Wright doch noch immer bedenkenswerte Anhaltspunkte in Bezug auf das liefern, was sich in Grant County abspielte.
    Jeffrey war bereits in Atlanta. Es gab keinen Grund, wieder zurückzufahren, bevor er aus dem Mann nicht alles
    herausbekommen hatte, was er brauchte. Jeffrey biss die Zähne zusammen und zwang sich dazu, seine ganze Konzentration auf die bevorstehende Aufgabe zu richten. Gespannt blickte er durch die Scheibe.
    Ziemlich geräuschvoll betrat Moon den Verhörraum, knallte die Tür hinter sich zu und zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor, wobei die Stuhlbeine über den gekachelten Boden kratzten. Trotz des vielen Geldes und der speziellen Etatposten,
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    die dem Police Department von Atlanta zur Verfügung standen, waren die Verhörräume der Stadt nicht annähernd so sauber wie die in Grant County. Der Raum, in dem Jack Allen Wright saß, war schäbig und schmutzig. Die Wände waren nicht gestrichen, sondern nur grau verputzt. Es herrschte eine

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