Belladonna
Waffe
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gesprochen wurde. Er antwortete: «Eigentlich nicht. Die meisten haben irgendein Alibi. Und diejenigen, die keins haben, passen kaum zu dem, was wir suchen.»
«Um zehn treffen wir uns mit Nick Shelton. Er hat einen Spezialisten für Belladonna aufgetan. Vielleicht können wir danach den Jungs ein paar mehr Hinweise geben, wonach sie suchen sollen.»
Frank setzte sich. «Ich hab auch Tollkirsche im Garten.»
«Ich auch», sagte Jeffrey. Und fügte hinzu: «Ich will nach dem Treffen rüber ins Krankenhaus, um zu sehen, ob Julia Matthews nach Reden zumute ist.» Er unterbrach, dachte an die junge Frau. «Ihre Eltern kommen so gegen drei. Ich will sie am Flughafen abholen. Sie geben mir heute Schützenhilfe.»
Wenn Frank Jeffreys Wortwahl witzig fand, sagte er es nicht.
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FÜNFZEHN
Sara verließ die Klinik um Viertel vor zehn, damit sie noch in der Apotheke vorbeischauen konnte, bevor sie Jeffrey traf. Es war kühl, und die Wolken versprachen noch mehr Regen. Sie steckte die Hände in die Taschen, als sie die Straße hinunterging, richtete den Blick auf den Gehsteig vor sich und hoffte nur, dass ihre Haltung und ihr Schritttempo sie unnahbar wirken ließen. Sie hätte sich deswegen jedoch keine Gedanken machen müssen. Seit Sibyls Tod herrschte in der Innenstadt eine Art Friedhofsruhe. Es war, als sei die ganze Stadt mit ihr gestorben. Sara wusste, wie man sich fühlte.
Die ganze Nacht hatte Sara wach gelegen und jeden Schritt, den sie mit Julia Matthews unternommen hatte, noch einmal überdacht. Aber sie hatte das Bild nicht loswerden können, wie die junge Frau auf dem Auto gelegen hatte, die Hände und Füße durchbohrt, und mit glasigen Augen in den Nachthimmel gestarrt hatte. Sara wollte so etwas nie im Leben wieder durchmachen müssen.
Die Glocke über der Apothekentür läutete, als Sara eintrat, und erlöste sie aus ihrer Abkapselung.
«Hallo, Doktor Linton», rief Marty Ringo, die an der Drugstore-Kasse stand. Sie hatte den Kopf gesenkt, weil sie in einer Zeitschrift las. Marty war eine mollige Person, der unglücklicherweise ein Leberfleck direkt über der rechten Augenbraue gewachsen war. Wie Borsten einer Bürste waren schwarze Haare daraus hervorgeschossen. Da sie in der Apotheke arbeitete, kannte sie den neuesten Klatsch über alle und jeden in der Stadt. Marty würde es sich nicht nehmen lassen, jedem, der die Apotheke betrat, zu stecken, dass Sara Linton heute speziell deswegen vorbeigeschaut hatte, um Jeb zu besuchen.
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Marty lächelte durchtrieben. «Sie suchen Jeb?»
«Ja», antwortete Sara.
«Hab von gestern Abend gehört», sagte Marty, die offenbar begierig auf weitere Informationen war. «Eine Studentin vom College, hä?»
Sara nickte, denn so viel würde man auch der Zeitung entnehmen können.
Marty senkte die Stimme: «Hab gehört, man hat ihr was angetan.»
«Mmm», antwortete Sara, die sich im Laden umsah. «Ist er da?», fragte sie.
«Die beiden sahen sich auch sehr ähnlich.»
«Was war das?», fragte Sara, plötzlich aufmerksam
geworden.
«Die beiden Mädchen», sagte Marty. «Meinen Sie, da gibt es eine Verbindung?»
Sara brach die Unterhaltung ab. «Ich muss Jeb dringend sprechen.»
«Er ist hinten.» Marty zeigte leicht beleidigt hinüber zum Apothekenbereich.
Sara bedankte sich mit einem gequälten Lächeln bei Marty und steuerte dann auf den hinteren Bereich des Geschäfts zu.
Sara war von jeher gerne in der Apotheke. Hier hatte sie ihre erste Wimperntusche erstanden. An Wochenenden pflegte ihr Vater sie im Auto herzufahren, um Süßigkeiten zu kaufen. Seit Jeb das Geschäft übernommen hatte, war nicht viel geändert worden. Der Limo-Tresen, der eher zur Angabe diente als zum Ausschank von Getränken, war wie immer auf Hochglanz poliert. Präservative wurden immer noch unter dem Ladentisch aufbewahrt. An den schmalen Gängen zwischen den Regalen, die den Laden in ganzer Länge teilten, hingen noch immer Schilder aus selbst beschrifteter Pappe.
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Auch hinter dem Apothekentresen konnte Sara Jeb nicht sehen. Sie bemerkte, dass die Hintertür offen stand, und mit einem Blick über die Schulter ging sie hinter den Ladentisch.
«Jeb?», rief sie. Es kam keine Antwort, und Sara ging weiter zur offenen Tür. Jeb stand an der Seite, Sara den Rücken zugekehrt. Sie tippte ihm auf die Schulter, und er fuhr vor Schreck zusammen.
«Gott», rief er und wirbelte herum. Der Schreck auf seinem Gesicht wich der Freude, als er Sara vor sich
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