Belladonna
Nein. Sicher nicht. Es war eine kindische Geste gewesen, ein bisschen So-tun-alsob. Die zwei Haare, die sie um den Stamm der Pflanzen gewickelt hatte, konnten nicht ändern, was auch immer geschehen würde, wenn Merrill und die anderen Herrinnen ihre Zeremonie begingen. Oder doch?
Glorianna befestigte die goldene Stabbrosche an ihrer schlichten weißen Bluse, dann trat sie zurück, um sich ganz im Spiegel betrachten zu können. Der dunkelgrüne Rock und das passende Jackett mit den Blumenstickereien am Kragen und an den Ärmeln waren wahrscheinlich zu formell für dieses Treffen. Mit ihrem hochgesteckten Haar sah sie aus, als nähme sie an einem nachmittäglichen Gesellschaftsempfang teil, anstatt sich mit Gleichgestellten zu treffen, um über die Gefahr für ihre Welt zu sprechen.
Aber wir sind keine Gleichgestellten, dachte Glorianna, als sie sich ein wenig Parfüm auf die Innenseite der Handgelenke tupfte. Ich war nie eine von ihnen.
Doch sie musste sich mit den Landschafferinnen treffen, welche die Heiligen Stätten gefunden hatten, musste mit ihnen sprechen und hoffen, sie würden bereit sein, mit ihr zusammenzuarbeiten, um Ephemera vor dem Weltenfresser zu schützen.
Wahrer des Lichts, bitte helft ihnen, mich zu akzeptieren. Lasst sie mir zuhören. Wenn sie es nicht können, nicht wollen, wird Ephemera noch mehr zerrüttet werden, als es jetzt schon ist.
Aus den Augen der Frau, die ihr aus dem Spiegel entgegenblickte, sprach Nervosität statt der dringend benötigten Zuversicht. Die Frau im Spiegel war es leid, eine Außenseiterin zu sein, die sich nicht auf ihresgleichen verlassen konnte, um ihr im bevorstehenden Kampf beizustehen. Obwohl sie im Herzen noch immer glaubte, sie würde dem Weltenfresser alleine entgegentreten müssen, wäre es eine Erleichterung, zu wissen, dass ihre Familie von der Last befreit wäre, die Einzigen zu sein, die sie unterstützten.
Aus diesem Grund hatte sie diese formelle Kleidung für das Treffen ausgewählt - als Erinnerung daran, dass ihre Familie sie unterstützte. Die Bluse hatte ihre Mutter ihr zum einunddreißigsten Geburtstag geschenkt. Lee hatte den edlen grünen Stoff gekauft und Lynnea den Rock und das Jackett genäht. Jeb, der bei allem, was darüber hinausging, Nadias neuer Ehemann zu sein, noch immer ein wenig unsicher über seinen Platz in der Familie war, hatte ihr die Stabbrosche geschenkt, die seiner Mutter gehört hatte. Ja, ihre Sachen waren wunderschön, doch es war die Liebe und Akzeptanz, für die sie standen, die sie mit jedem Kleidungsstück angelegt hatte, wie ein Schild, der ihr Herz schützen würde, was auch immer ihr bevorstand.
Als sie sich vom Spiegel abwandte, wurde sie von dem Aquarell angezogen, das neben ihrem Bett an der Wand hing. Es trug den Titel Mondschein-Geliebter und zeigte die Lichtung zwischen den Bäumen bei Sebastians Cottage, auf der man zuschauen konnte, wie der Mond über den See schien. Die dunkelhaarige Frau auf der Zeichnung trug ein Gewand, das ebenso romantisch wie unpraktisch war, und wirkte so stofflich wie die Strahlen des Mondlichts. Hinter ihr stand, schützend die Arme um sie geschlungen, der Geliebte. Sein Gesicht lag im Schatten, reizte die Fantasie dazu, sich mehr Details vorzustellen, doch der Körperbau deutete auf einen starken Mann hin, der in der Blüte seiner Jahre stand.
Es lag etwas in der Art, wie er sich hielt, mit der Frau, die sich an seine Brust lehnte, während sie den Mond und das Wasser betrachteten, das sie denken ließ, er sei ein Mann, der eine weite Reise hinter sich hatte und jetzt den Schatz in den Armen hielt, nach dem er auf der Suche gewesen war.
Sebastian, der ewige Romantiker, hatte es für sie gemalt. Er hatte ihre Sehnsucht nach Poesie eingefangen, von der sie dachte, sie hielte sie gut versteckt. Doch wie die Geheimnisse des Herzens nicht vor einer Landschafferin versteckt werden konnten, blieben romantische Sehnsüchte vor einem Inkubus nicht verborgen.
Es beunruhigte sie, dass manchmal in der Dunkelheit einer einsamen Nacht das Bild eines Fantasie-Liebhabers in ihr aufstieg. Wenn der geheimnisvolle Liebhaber begann, sich beinahe so wirklich anzufühlen, als könne man ihn berühren, war sie dann immer noch alleine in ihrer Fantasie, oder hatte sich ein Inkubus mit ihr vereinigt, indem er durch das Zwielicht des Halbschlafes nach ihr griff? Oder versuchte etwas anderes, sie durch diese Sehnsucht zu erreichen? Manchmal fühlte es sich fast so an, als könne sie ihre Hand
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