Belladonna
Wassers verbreitete sich im Dorf schon die Angst vor Krankheiten.
Sie hatte geweint und geschworen, sie hätte nichts Böses getan, obwohl sie ahnte, dass sie tatsächlich diejenige gewesen war, die den Brunnen verdorben hatte. Und sie weinte noch mehr, als Tante Brighid schrie: »Wo sollen wir hingehen, wenn man uns aus dem Dorf jagt? Das hier ist alles, was wir haben, und wir haben es nur, weil es das Erbe deines Vaters ist, das einzige greifbare Vermögen, das er seinen Kindern hinterlassen hat. Wenn wir das hier verlieren, haben wir nichts mehr, Caitlin. Nichts.«
Dann fing Tante Brighid an zu weinen.
Sie hatte Tante Brighid Tränen des Glücks und die jener »kleinen Traurigkeit« weinen sehen, die die alte Frau von Zeit zu Zeit überkam, aber noch nie mit diesem herzzerreißenden Schmerz.
Und so hatte sie sich in dieser Nacht mit aller Kraft gewünscht, der Brunnen im Garten ihrer Klassenkameradin wäre wieder wunderschön und würde alle glücklich machen.
Es klappte nicht. Oh, als man den Brunnen das nächste Mal reinigte, verdarb das Wasser nicht mehr, aber nie gediehen die Pflanzen und Fische, und nie roch das Wasser wirklich sauber. Schließlich legte man ihn ein letztes Mal trocken, und seitdem stand er leer.
Danach beschränkte sie ihre Wünsche auf den Garten und wünschte niemals jemandem etwas Böses. Und das war schwer für eine junge Frau, die keine Freunde hatte, die die Lehrer voller Misstrauen ansahen, die wusste, dass sie wegen ihrer Andersartigkeit eine Außenseiterin war, die sie sich nicht ausgesucht hatte.
Sie hatte den Garten geheim gehalten, bis Michael das erste Mal nach Hause kam. Er war schließlich wie sie. Er würde diesen besonderen Ort verstehen.
Aber er hatte nicht verstanden. Oh, er hatte ihn bewundert, hatte die Arbeit gelobt, die sie ganz alleine erledigt hatte, um ihn herzurichten, doch er hatte nichts für ihn empfunden.
Und doch hatte er das eine getan, das Tante Brighid nicht konnte: Er hatte ihre seltsame Gemeinschaft mit der Welt akzeptiert. Er machte sich Sorgen, und erst Jahre später hatte sie erkannt, dass er sich sowohl um sich selbst als auch um sie sorgte. Man hatte Magier, Glücksund Fluchbringer, die das Leben eines Menschen verändern konnten, indem sie nichts weiter taten, als sich zu wünschen, etwas möge geschehen, aus den Dörfern vertrieben, wann immer etwas schiefgegangen war. Einige waren verletzt, andere sogar getötet worden. Und an diesen Orten … Nun ja, es war für niemanden mehr sicher, an diesen Orten zu leben.
Als sie zehn Jahre alt war, entdeckten zwei Jungen ihr Geheimnis, die ihr eines Tages nach der Schule gefolgt waren. Sie wusste nicht, ob sie noch etwas anderes vorgehabt hatten, als ihr zu folgen; sie hatte nichts gehört, während sie im Garten gearbeitet hatte. Erst als sie aus dem Tor schlüpfte, vernahm sie die Hilferufe und fand die Jungen. Das Bein des einen steckte unter einem Felsbrocken fest. Der andere versank in einem Sumpfloch.
Glücklicherweise war das geschehen, als Michael gerade zu Besuch war, und er war auf den Hügel gelaufen, um sie zu suchen - oder nach ihr zu rufen, denn wenn Caitlin nicht bei ihm war, konnte selbst er den Garten der Liebsten nicht finden. Doch merkwürdigerweise drang seine Stimme über die Gartenmauer, obwohl nichts anderes das vermochte.
Als sie also dastand, entsetzt darüber, sie könnte vielleicht etwas getan haben, das den Hügel dazu veranlasst hatte, Felsen und Sumpf zu erschaffen, war Michael den Pfad hinaufgekommen.
Ein plötzliches Krachen und ein Ast fiel über das Sumpfloch, verfehlte den Jungen knapp und bot ihm etwas, an dem er sich festhalten konnte - und bot Michael einen sicheren Weg, den Jungen herauszuziehen. Derselbe Ast wurde zu einem Hebel, um den anderen Jungen von dem Felsbrocken zu befreien.
Die Jungen erholten sich von ihrem Unfall, doch niemand in Ravens Hill vergaß die Geschichte. Sie hatten gesehen, wie Caitlin den Garten der Liebsten betrat. Die Liebste, die, so sagte man, eine zumeist gütige Zauberin gewesen war, die der Welt befehlen konnte, ihrem Geheiß zu folgen. Es hatte Gerüchte gegeben, dass Frauen in der Familie ihres Vaters den Garten ein paar Mal gefunden hätten, doch niemand hatte sicher von ihm gewusst, bis Caitlin Marie über ihn gestolpert war.
Nach dem Vorfall mit den Jungen fing Tante Brighid an, von der Weißen Insel und Lighthaven zu sprechen, einem Ort des Friedens und des Lichts. Vielleicht ein Ort für eine zweite Chance, einen
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