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Belladonna

Belladonna

Titel: Belladonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Bishop
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gekürzten Haares zu packen und sie noch kürzer zu schneiden. Eine schreckliche Befriedigung ergriff sie bei diesem Akt der Selbstverstümmlung.
    Dann schnitt sie sich in den Daumen, und der Schmerz durchbrach die kalte, dunkle Stimmung.
    Nachdem sie das Messer zusammengeklappt hatte, steckte sie es in die Tasche und ging dann zum Wasserfall, um die Wunde auszuwaschen. Sie war nicht so  tief, dass sie genäht werden musste, aber schmerzhaft und - sie seufzte, als sie ihr Taschentuch um den Daumen wickelte - sie bedeutete das Ende der Gartenarbeit für heute.
    Sie blickte auf die Haarbüschel, die dort, wo sie gesessen hatte, auf dem Boden verstreut lagen. Sie blickte auf den Pferdeschwanz aus wunderschönem Haar, mit dem sie sich immer so hübsch gefühlt hatte, und das ihr nun keine Freude mehr machte.
    Dann rannte sie aus dem Garten, rannte den ganzen Weg nach Hause.
    »Caitlin Marie!«
    Sie fand keine Befriedigung in der Bestürzung ihrer Tante über ihr Aussehen, aber sie hob trotzig das Kinn. »Das Haar war einer Kurtisane angemessen. Ich will aber keine Hure sein.«
    Tante Brighid wollte etwas sagen, änderte dann aber ihre Meinung. Stattdessen zog sie einen Stuhl unter dem Küchentisch hervor. »Setz dich. Ich hole meine Schere und schau mal, ob ich in das, was von deinem Haar übrig ist, noch Ordnung bringen kann.«
    Während Tante Brighid ihr Haar schnitt, hielt Caitlin die Augen geschlossen. Es lag eine gewisse Freiheit darin, die Haare so unerhört kurz zu tragen. Man würde es nicht als weiblich ansehen, nicht als begehrenswert. Morgen würde sie die Truhen durchstöbern, die auf dem Dachboden standen. Vielleicht lagen dort noch ein paar Sachen, aus denen Michael herausgewachsen war. Mit einem Männerhaarschnitt und Männerkleidern … Vielleicht würde sie sich angewöhnen, Pfeife zu rauchen. Und sie würde verkünden, dass jeder Mann, der Interesse an ihr zeigte, es tat, weil er kein richtiges Interesse an Frauen hatte. Kein Mann in Ravens Hill würde sich vorwerfen lassen wollen, Mondscheinspaziergänge mit einem anderen Kerl zu unternehmen. Vielleicht könnte sie, wenn man sie für einen jungen, etwas femininen  Mann hielt, sogar mit Michael auf Reisen gehen, ganz aus Ravens Hill fortziehen und ein bisschen von der Welt sehen. Vielleicht würde sie sogar Menschen finden, die diese sonderbare Gabe in ihr akzeptierten und mit ihr Freundschaft schließen wollten.
    Nicht länger in ganz so trostloser Stimmung, half sie Tante Brighid, die abgeschnittenen Haare aufzukehren und dann das Abendessen zuzubereiten. Später, als sie beide dasaßen und Kleidung ausbesserten, dachte sie an die Haare, die sie um die Herzenshoffnung und die Tollkirsche geschlungen hatte, die sie Merrill gegeben hatte.
    Als sie hinaufgegangen war, um die Pflanzen zu holen, hatte sie auf nichts geachtet außer auf die Pflanzen. Jetzt, als sie sich das Beet in der Ecke des Gartens vorstellte, bemerkte sie, dass der Stein von der Weißen Insel versteckt hinter den Pflanzen gelegen hatte.
    Nachdem Tante Brighid angefangen hatte, über Lighthaven zu sprechen, hatte sie Caitlin den Stein von der Insel als eine Art Talisman geschenkt, und Caitlin hatte ihn mit hinauf in den Garten genommen, um ihn in das Blumenbeet zu legen, das sie angelegt hatte, das Licht zu ehren. Das Beet war nie gediehen. Im Frühling blühten ein paar hübsche kleine Blumen, doch den Rest des Jahres über blieb der Boden hartnäckig kahl, ganz gleich was sie dort anzupflanzen versuchte - oder zu was sie Ephemera zu überreden versuchte, dort entstehen zu lassen. Nachdem sie durch die Prüfung des Lichts gefallen war, hörte sie auf, sich um das Blumenbeet zu kümmern, und sogar die kleinen Frühlingsblumen starben.
    Sie erinnerte sich nicht daran, aber sie musste den Stein in die Ecke gelegt haben. Und jetzt, da sie ohne den Zorn, der die Atmosphäre des Gartens verhüllte, darüber nachdachte, erschien es ihr ein wenig … seltsam …, dass die Pflanzen bei dem Stein gestanden hatten. Als sie sich an das Gefühl der Hand erinnerte, die die ihre ergriff, fiel ihr noch etwas auf. Es hatte sich so angefühlt, als seien  die Pflanzen nicht ganz in Einklang mit dem Rest des Gartens - so, als sänge sie ein Lied und eine zweite Person ein anderes. Und die Melodien gerieten durcheinander und gingen gleichzeitig ineinander über, während sie versuchten, gemeinsam eine Harmonie zu finden, es aber noch nicht ganz schafften.
    Noch nicht ganz.
    Caitlin zuckte zusammen.

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