Belladonna
ihr passiert war.
Nach einer Woche Krankenhausaufenthalt hatte Eddie sie nach Grant zurückgefahren. Sara hatte während des gesamten Weges den Kopf an seine Schulter gelehnt. Sie saß auf der vorderen Bank seines alten Pickups, zwischen ihre Mutter und ihren Vater gequetscht, so wie es eigentlich vor Tessas Geburt immer gewesen war. Ihre Mutter hatte ein Kirchenlied, das Sara noch nie zuvor gehört hatte, ziemlich falsch gesungen. Irgendwas von Seelenheil. Etwas von Erlösung. Etwas von Liebe.
«Baby?»
«Ja, Daddy», antwortete Sara. Sie wischte sich eine Träne aus dem Auge. «Ich guck später rein, okay?» Sie hauchte einen Kuss in den Hörer. «Ich liebe dich.»
Er antwortete entsprechend, aber sie bemerkte die Besorgnis in seiner Stimme. Sara ließ die Hand auf dem Hörer, wünschte mit aller Kraft, dass er sich nur nicht aufregte. Das Schlimmste an ihrer Genesung von dem, was Jack Allen Wright ihr angetan hatte, war das Wissen darum, dass ihr Vater über alle Einzelheiten der Vergewaltigung Bescheid wusste. Sie fühlte sich ihm gegenüber so entblößt, während einer so langen Zeit, dass sich ihr Verhältnis verändert hatte. Die Sara, mit der er spontan irgendwelche Spiele gespielt hatte, die gab es nicht mehr. Nicht mehr erwähnt wurden auch Eddies Scherze, dass er wünschte, sie würde Gynäkologin werden, damit er sagen könnte, seine beiden Töchter hätten sich aufs Klempnern verlegt. Er sah sie nicht mehr als seine unverwundbare Sara. Er sah sie als jemanden, den er beschützen musste. Ja, er sah sie so, wie Jeffrey sie jetzt sah.
Sara zog die Schnürsenkel an ihren Tennisschuhen zu fest zu, kümmerte sich aber nicht darum. Letzte Nacht hatte sie aus Jeffreys Stimme Mitleid herausgehört. Sofort und instinktiv wusste sie, dass sich alles unwiderruflich verändert hatte. Von jetzt an würde er in ihr immer nur das Opfer sehen. Sara hatte zu verbissen darum gekämpft, dies Gefühl zu überwinden, als dass sie sich ihm jetzt wieder ergeben würde.
Nachdem sie eine leichte Jacke übergezogen hatte, trat Sara aus dem Haus. Sie joggte die Auffahrt hinunter zur Straße und wandte sich nach links, weg vom Haus ihrer Eltern. Sara joggte nicht gern auf Straßenpflaster, denn sie hatte zu viele Knie gesehen, die von dem ständigen Stauchen Verletzungen davongetragen hatten. Wenn sie Fitnesstraining machte, dann mit den Geräten im YMCA von Grant, oder sie schwamm dort im Pool. Im Sommer ging sie frühmorgens im See schwimmen, um ihren Kopf frei zu bekommen und sich auf den bevorstehenden Tag zu konzentrieren. Heute wollte sie sich jedoch ohne Rücksicht auf ihre Gelenke bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit treiben. Sara war schon immer ein körperbewusster Mensch gewesen, und durch Schwitzen fand sie ihre Mitte wieder.
Nach ungefähr zwei Meilen verließ sie die Hauptstraße und nahm einen Seitenpfad, um am See entlanglaufen zu können. Stellenweise war der Boden holprig, aber der Ausblick war herrlich. Die Sonne gewann endlich ihren Kampf gegen die dunklen Wolken, als Sara feststellte, dass sie bei Jeb McGuires Haus war. Sie war stehen geblieben, um sich das schnittige schwarze Boot anzusehen, das an seinem Steg vertäut war, als sie schaltete, wo sie war. Sie beschattete die Augen mit der Hand, um die Rückseite von Jebs Haus zu betrachten.
Er wohnte in dem alten Tanner-Haus, das erst kürzlich auf den Markt gekommen war. Die Leute gaben ihre Seegrundstücke nicht gern auf, aber die Tanner-Kinder, die schon vor Jahren aus Grant weggezogen waren, hatten nur zu gern das Geld eingesackt, als ihr Vater schließlich einem Emphysem erlegen war. Russell Tanner war ein netter Mann gewesen, aber er hatte wie die meisten alten Leute auch seine Macken gehabt. Jeb hatte ihm seine Medikamente persönlich vorbeigebracht, und das hatte wahrscheinlich auch dazu beigetragen, dass er das Haus nach dem Tod des alten Mannes billig bekommen hatte.
Sara ging den steil abschüssigen Rasen zum Haus empor. Eine Woche nach seinem Einzug hatte Jeb eine große Renovierungsaktion gestartet, die alten windschiefen Fenster durch Doppelglasscheiben ersetzt und die Asbestschindeln vom Dach und die Asbestplatten der Seitenverkleidung entfernt. Solange sich Sara erinnern konnte, war das Haus dunkelgrau gewesen, aber Jeb hatte es in einem heiteren Gelb gestrichen. Sara war die Farbe zu grell, aber zu Jeb passte sie.
«Sara?», fragte Jeb, der aus dem Haus kam. Er trug einen Werkzeuggürtel, an dem ein Schindelhammer
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