Belladonna
Mutter, aufwuchs, hatte sie mit ansehen müssen, wie ihr Bruder Hank tiefer und tiefer in einen bodenlosen Abgrund von Alkohol und Drogenmissbrauch versank. Hank hatte Lena erzählt, dass ihre Mutter strenge Alkoholgegnerin gewesen war. Als Angela ihren Calvin Adams geheiratet hatte, hatte das einzige Gebot, auf dem sie bestand, von ihm verlangt, dass er niemals mit seinen Polizistenkollegen zum Trinken ging. Von Cal wusste man zwar, dass er manchmal über die Stränge schlug, aber im Großen und Ganzen kam er dem Wunsch seiner Frau nach. Gerade erst drei Monate verheiratet, machte er eine routinemäßige Verkehrskontrolle an einer unbefestigten Straße außerhalb von Reece, Georgia, als der Fahrer seine Waffe zog. Von zwei Schüssen in den Kopf getroffen, starb Calvin Adams, ehe sein Körper den Boden berührte.
Mit dreiundzwanzig war Angela kaum auf ein Leben als Witwe vorbereitet. Als sie beim Begräbnis ihres Mannes in Ohnmacht fiel, schrieb ihre Familie das ihrem schwachen Nervenkostüm zu. Nach vier Wochen morgendlicher Übelkeit nannte ihre Ärztin dann die Diagnose: Angela war schwanger.
Im Laufe der Schwangerschaft wurde Angela immer verzagter. Eine wirklich glückliche Frau war sie ohnehin nie gewesen. Das Leben in Reece war nicht leicht, und die NortonFamilie hatte ihre Erfahrung mit schwierigen Zeiten. Hank Norton war berüchtigt wegen seines Jähzorns und galt als einer jener gewalttätigen Trunkenbolde, denen man besser nicht in einer dunklen Gasse begegnete. Unter der Obhut ihres älteren Bruders hatte Angela gelernt, sich lieber aus allen Streitigkeiten herauszuhalten. Zwei Wochen nachdem sie Zwillingsmädchen zur Welt gebracht hatte, erlag Angela Adams einer Infektionskrankheit. Sie war gerade vierundzwanzig Jahre alt. Hank Norton war als einziger Verwandter bereit, ihre beiden Mädchen bei sich aufzunehmen.
Wenn man Hanks Erzählungen Glauben schenkte, hatten Sibyl und Lena sein Leben völlig umgekrempelt. An dem Tag, als er sie in sein Haus brachte, hatte er aufgehört, Raubbau mit seinem Körper zu treiben. Er behauptete, allein durch ihre Existenz Gott gefunden zu haben, und sagte heute noch, er könne sich bis in alle Einzelheiten daran erinnern, wie es gewesen war, Lena und Sibyl zum ersten Mal im Arm zu halten.
In Wahrheit hatte Hank nur aufgehört, sich Speed zu spritzen, als die Mädchen zu ihm kamen. Mit dem Trinken hörte er erst sehr viel später auf. Als das geschah, waren die Mädchen acht. Ein schlechter Tag auf der Arbeit hatte Hank veranlasst, sich voll laufen zu lassen. Als er keinen Schnaps mehr hatte, beschloss er, zum Spirituosenladen nicht zu Fuß zu gehen, sondern das Auto zu nehmen. Er kam nicht mal hinaus auf die Straße. Sibyl und Lena spielten im Vorgarten Ball. Lena wusste immer noch nicht, was Sibyl sich dabei gedacht hatte, bis in die Auffahrt hinter dem Ball herzulaufen. Der Wagen hatte sie von der Seite erwischt. Die Stoßstange hatte sie mit voller Wucht an der Schläfe getroffen, als sie sich bückte, um den Ball aufzuheben.
Die Behörden des County waren eingeschaltet worden, aber die Untersuchung verlief im Sande. Von Reece aus brauchte man mit dem Auto vierzig Minuten zum nächsten Krankenhaus. Hank hatte genügend Zeit, nüchtern zu werden und eine glaubwürdige Geschichte zu erfinden. Lena konnte sich noch daran erinnern, wie sie mit ihm im Wagen gesessen und beobachtet hatte, wie seine Lippen sich bewegten, als er sich die Geschichte ausdachte. Zu jener Zeit war die achtjährige Lena nicht ganz sicher, was überhaupt passiert war, und als sie bei der Polizei befragt wurde, hatte sie Hanks Geschichte bestätigt.
Noch immer träumte Lena ab und zu von dem Unfall, und in diesen Träumen prallte Sibyls Körper kaum anders als der Ball auf den Boden. Dass Hank angeblich seither keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken hatte, war für Lena ohne jede Bedeutung. Der Schaden war angerichtet.
Sie machte noch eine Flasche Bier auf und nahm dabei beide Hände vom Lenkrad, um den Schraubverschluss abzudrehen. Sie nahm einen großen Schluck und verzog das Gesicht wegen des Geschmacks. Alkohol hatte sie noch nie gereizt. Lena hasste es, sich nicht unter Kontrolle zu haben, hasste den betrunkenen Zustand und die Benommenheit. Sich zu betrinken war etwas für schwache Menschen, eine Krücke für diejenigen, die nicht genügend Kraft besaßen, ihr eigenes Leben zu leben, auf den eigenen Füßen zu stehen. Sich zu betrinken hieß, vor etwas davonzulaufen. Lena nahm noch einen
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