BELLAGIO -- Roman (German Edition)
Dämonen stellen, sie hervorlocken und sie ein für allemal besiegen und zerschmettern. Und sie würde genau dort eine wunderschöne Zeit verbringen, sich verwöhnen lassen und ihre schreckliche Erinnerung mit schönen Dingen überlagern. Sie würde kein Opfer mehr sein. Nein, sie würde sich ihr eigenes Leben zurückerobern. Sie würde nicht mehr zulassen, von den Schatten ihrer schmerzhaften Vergangenheit beherrscht zu werden.
Heute war der Tag, an dem ihr neues Leben anfing. Sie spürte es in ihrem ganzen Körper, dass dies der richtige Entschluss war. Sie fühlte sich so kräftig wie schon lange nicht mehr. Sie würde den Kampf aufnehmen und ihn gewinnen. Den Kampf mit Ihrem Leben und mit Chris. Vielleicht war der Kampf mit Chris ohnehin der Auslöser gewesen. Vielleicht brauchte sie die Aggression ihres Sohnes, um zu einer gesunden Wut, zu einem gesunden Egoismus zu kommen. Vielleicht hatte das alles ja doch einen Sinn. Von irgendeiner Brücke springen, das konnte sie schließlich immer noch.
Aber es war noch nicht zu spät zu leben. Sie war noch jung. 38, das war ja nichts. Sie würde ganz von vorne anfangen, an genau dem Ort, an dem er damals ihr Herz gebrochen hatte, an dem Ort, an den sie nicht ohne zu weinen denken konnte. Genau dorthin würde sie fahren, an die Quelle ihrer Schmerzen. Und sie würde sich ihr Leben zurück holen, dort... in Bellagio.
X Y Y
Alex getraute sich kaum, seine Eltern anzurufen. Früher hatte er sie oft angerufen und auch besucht. Er hatte von seinen Erfolgen berichtet, ihnen teure Geschenke gemacht, die Enkel vorbei gebracht, nach denen die beiden Alten buchstäblich verrückt waren. Seine Mutter hatte es fast nicht über sich gebracht, die Kleinen wieder gehen zu lassen. Oft hatte er sie auch eingeladen zu sich nach Frankfurt, in seine schicke Wohnung, die größer war, als die meisten normalen Häuser. Doch dort hatten sich seine Eltern nie wohl gefühlt. Es war ihnen alles zu kalt, zu steril, zu modern, zu teuer. Höchstens zwei Tage waren sie immer geblieben.
Doch seit sich abzeichnete, dass sein Geschäft sich in Luft auflöste, sein Reichtum schwand und nur noch Schulden übrig zu bleiben drohten, hatte er sich nicht mehr gemeldet. Er fühlte sich minderwertig, er wollte nichts hören, schon gar keine Vorwürfe. Nur einmal hatte er abgenommen, als er die Nummer seiner Eltern erkannte. Seine Mutter wollte sich erkundigen, ob es ihm gut gehe. Ja, hatte er damals gesagt, er hätte nur unheimlich viel zu tun, um die Krise zu bewältigen. Ja, sagte seine Mutter, man höre es ja immer in den Nachrichten wie schlimm alles sei. Er solle nur gut auf sich achten. Und wie es denn den Kleinen gehe?
Alex hatte die Worte seines Vaters noch im Ohr, er wusste kaum, wie oft er diese wiederholt hatte, dass er vorsichtig sein solle, nicht derart hoch fliegen solle. Ikarus sei abgestürzt, weil er sich an der Sonne die Flügel verbannt hatte. Von ganz oben gäbe es eben nur den einen Weg, den nach ganz unten. Und dass es nur sehr wenige gäbe, die sich ganz oben halten konnten und das auch nur, wenn sie Mittel einsetzten, auf die man als anständiger Mensch nicht stolz sein könne.
‚Junge, uns musst du nichts beweisen. Wir werden dich immer lieben, so wie du bist. Arm oder reich. Tu einfach nur das Richtige.’
Das Richtige, das Richtige... die Worten gellten Alex in seinen Ohren. Er hatte immer gedacht, er würde das Richtige tun. Er hatte eine goldene Nase. Alles, was er anfasste, war zu Gold geworden, für eine sehr lange Zeit. Er wurde zur Investmentlegende. Er hatte immer die neuesten Technologien, immer die neueste Software und das kombiniert mit seiner untrüglichen Nase... Nie hätte er gedacht, dass diese ihn irgendwann im Stich lassen könnte. Aber der Erfolg hatte auch ihn berauscht, ihm das Gefühl gegeben, unfehlbar zu sein. Das war der Anfang vom Ende. Hatte er die Gefahren nicht gesehen? Doch, hatte er. Aber er hatte geglaubt, er könnte die Profis austricksen. Und dann hatten die ihn ausgetrickst.
Aber es waren auch nicht seine Eltern, diese anständigen Menschen, die immer mit wenig zufrieden gewesen waren, denen er etwas beweisen wollte. Er wollte es sich selbst beweisen. Und auch diesen reichen, überheblichen Leuten, die ihm plötzlich ihr vieles Geld anvertrauten, um noch reicher zu werden. Er wollte allen beweisen, dass er, Alexander Schönauer, mitziehen konnte. Dass er dort oben hin gehörte. Dass das seine Welt
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