BELLAGIO -- Roman (German Edition)
würde, was er dafür vorbereiten musste, wen er anzurufen hatte. Funktionieren eben. Aber nicht nachdenken. So oft war er in Zürich gewesen für den Job. Klar, das war eines der wichtigsten Finanzzentren der Welt. Nie hatte er dann an Stefan gedacht. Warum eigentlich nicht?
‚Wahrscheinlich war ich zu sehr im Stress, hatte es ausgeblendet.’
Aber Alex wusste, dass das nur die halbe Wahrheit war. Er wollte mit seinen alten, meist armen Freunden nichts mehr zu tun haben. Wollte sich lieber mit namhaften Kollegen und reichen Investoren umgeben.
Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist.
Wenn die Leute ihn mit den Leuten sahen, die ihn umgaben, dann wollte er, dass sie ihn als wichtigen Finanzakteur sahen. Und nicht zusammen mit einem zerzausten, dürren, blassen Computerfreak. Welcher Eindruck wäre wohl dabei entstanden. Alex war nun ehrlich genug, um vor sich selbst zuzugeben, dass er einen Lebensstil gepflegt hatte, der mehr Schein als Sein war. Menschen, die wirklich angekommen waren, die wussten, wer sie waren, brauchten diese Art von billiger Bestätigung nicht. Das brauchten nur Emporkömmlinge, Loser, Komplexierte. Er.
Komisch, dass ihm gerade jetzt die Großen der Welt einfielen. Jesus, Buddha, Ghandi... Die hatten sich mit den kleinen Leuten gut gefühlt, haben sich sogar mit Huren und Kriminellen abgegeben. Die hatten eben gewusst, wer sie waren. Die brauchten diesen Akzeptanzkäse nicht.
Vielleicht waren sie gerade deshalb groß geworden, durch diese stille, klare Autorität. Dadurch, dass sie Menschen einfach als Menschen behandelt hatten. Nicht als reich oder arm, klein oder groß.
Alex seufzte. Er war sich nicht sicher, ob er das je schaffen würde. Fast befürchtete er, seine Komplexe saßen zu tief. Warum eigentlich? Ja, stimmt. Es fing in der Schule an, auf dem Gymnasium. Da waren die Jungs, die reiche Eltern hatten. Die coole Markenklamotten und immer die tollste Sportausrüstung hatten, die Tennis und Golf spielten, das teuerste Fahrrad, das coolste Mofa und mit 18 einen schicken Schlitten vom Papi bekamen. Alex konnte nie mithalten. Er hatte sich deswegen immer an diejenigen gehalten, die auch nicht mehr hatten als er. Aber nicht, ohne bewundernd und neidisch zugleich immer zu den anderen zu schielen, die natürlich auf die normalen herunter schauten und auf ihnen herumhackten. Sein einziger Vorteil war immer gewesen, dass er unheimlich schlau war. Er war immer unter den Klassenbesten. Und gut aussehend war er auch immer gewesen, was ihn bei Mädels beliebt machte. Das führte dazu, dass manchmal einer von den Bessergestellten ihn um Hilfe bitten musste. Er sollte ihre Hausaufgaben machen oder sie abschreiben lassen oder bei einem Mädchen ein gutes Wort einlegen. Dafür bekam er dann Geld. Mal einen Zehner, mal einen Zwanziger...
Das war es aber dann auch schon. Mehr wollten sie nicht von ihm. Dabei haben wollten sie ihn nie. Alex quälte das, er wollte immer schon einer von ihnen sein. Nachts träumte er davon, wie er Millionen im Lotto gewinnen würde oder eine tolle Erfindung machen würde, für die ihn dann alle bewundern würden. Er träumte davon, selbst eines Tages reich zu sein. Er träumte davon, zur Elite zu gehören, Zugang zu jeder Gesellschaft zu haben, sei sie noch so reich und elitär.
Im Studium wurde es dann besser. Hier gab es diese festen Klassenstrukturen nicht mehr. Er fühlte sich freier, fühlte sich mehr, wie er selbst. Seine Leistungen waren spitze, denn er begriff, dass er mit dem Studium von BWL und Finanzwissenschaften den Schlüssel in die Hand bekam, mit dem er sich jede Tür öffnen können würde... vorausgesetzt, er würde diesen Schlüssel klug anwenden. Neben dem Studium und in allen Ferien jobbte er und machte Praktika in großen Banken und wichtigen Fonds. Er suchte die Gesellschaft der Manager dort, die von seinem Wissen durchaus beeindruckt waren und ihm auch so manches Erfolgsgeheimnis verrieten. So bekam Alex schnell mit, wie der Hase lief.
Und noch eines bekam er mit, als eines Tages der Manager einer großen Bank beiläufig eine Bemerkung fallen ließ. Er sagte zu Alex, dass es auch darauf ankam, mit wem man zusammen war. Damals war Alex schon mit Gabi zusammen gewesen. Er wusste, dass ihre Familie nicht reich war, eher zur Unterschicht gehörte. Aber er liebte sie eben. Sie waren zusammen und sie würden auch zusammen bleiben.
Vielleicht hatte sich diese Bemerkung aber auch in seinem Unterbewusstsein festgesetzt.
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