Belles Lettres
als das Thema anzuschneiden und zuzuhören. Dann ergibt sich der Rest von selbst.» Er machte eine Pause vor lauter Peinlichkeit, aber nicht, weil er mich um Hilfe bat, sondern weil er mich dazu aufforderte, sie auszutricksen. Dennoch sagte er: «Würden Sie mir helfen?»
«Natürlich», sagte ich. «Ich werde tun, was ich tun kann. Aber ich regle das auf meine Weise.»
«Ich verstehe», sagte er.
«Es ist nicht so, daß ich Ihrer Methode nicht folgen will, aber das ist einfach nicht meine Art. Ich versuche es auf meine Weise. Sie können mir vertrauen!»
«Ich vertraue Ihnen», sagte er, nickte vor sich hin, als müsse er sich vergewissern, daß ich seine Liebesaffäre nicht ruinieren würde - und ihn gleich mit.
«Und jetzt reden wir über andere Dinge», sagte ich und hob mein Glas, um auf meinen Vorschlag anzustoßen.
«Auf andere Dinge!» sagte er.
Man lädt eine Sekretärin nicht einfach so zum Mittagessen ein, wie man einen Redaktionskollegen einladen würde, jedenfalls nicht, wenn die Sekretärin so aussieht wie Claire Tippin. Wenn man es täte und sie annähme, wenn dann der Moment käme, da man gemeinsam die Redaktion verließe, gemeinsam wartend vor dem Aufzug stünde, benebelt vom Scheiß-egal-jetzt-Brandy-zum-Kaffee eine Stunde zu spät gemeinsam in die Redaktion zurückkehrte, dann würde man von allen komisch angeglotzt und würde komisch zurückglotzen. Wenn man also entsprechende Absichten hätte, lüde man sie nicht zum Mittagessen ein, sondern wartete einen Abend ab, an dem sie Überstunden machte, näherte sich ihr und sagte: «Jetzt könnte ich gut einen Drink gebrauchen. Wie steht's mit Ihnen?» Vermutlich hatte es genau so mit Claire und Mr. Margin angefangen, nur daß ich den Verdacht hegte, daß Claire gewartet und sich ihm genähert hatte.
Wie dem auch sei - ich löste das Problem, indem ich sie zum Mittagessen einlud, während Barry Vellum und Mr. Margin persönlich an ihrem Schreibtisch standen, und da Barry mir keinen Seitenblick zuwarf, wurde die Einladung wohl als harmlos verstanden, außer vielleicht von Claire, die sich, glaube ich, wunderte, warum ich sie vor all diesen Leuten zum Mittagessen einlud.
Während wir uns im Restaurant unterhielten, bemühte ich mich, sie vor falschen Schlußfolgerungen zu bewahren. Ich erwähnte Freundinnen, damit sie nicht auf die Idee käme, von mir angebaggert zu werden; als sie auf die Redaktion zu sprechen kam, wechselte ich das Thema, damit sie nicht dachte, daß es mir um Klatsch und Tratsch ging; ihre Frage, ob ich glaubte, daß alle in der Redaktion «jobmäßig an der richtigen Stelle» säßen, bejahte ich, damit sie nicht dachte, daß ich sie darauf abklopfte, ob sie anderweitig einzusetzen wäre (als diese Wendung des Gesprächs ins Leere lief, glaubte ich, bei ihr eine leichte Enttäuschung zu spüren). Warum ich sie nicht zu falschen Schlußfolgerungen kommen lassen wollte, ist mir selber nicht ganz klar. Vielleicht kam ich mir von Anfang an allzu doppelzüngig vor, indem ich Mr. Margins Mission betrieb.
Jedenfalls unterliefen mir zwei Unehrlichkeiten. Die erste war, daß ich lebhaftes Interesse an ihrer Reise äußerte. Ich lächelte und lächelte und erfuhr mehr als ich wissen wollte über Flora und Fauna, Himmel, Strände, Wetter und Bewohner Hawaiis. Meine zweite Unehrlichkeit war die Bemerkung: «Haben Sie sich da nicht einsam gefühlt?», was sie verneinte, da sie mit einer anderen Person gereist sei, die sogleich ein Teil ihrer Geschichte wurde. «Die Person» und «dieser Person» tauchte zwei, drei, vier Mal anstelle von er, sie, ihm, ihr, seiner, ihrer in solchen Sätzen auf, die normalerweise nach dem einschlägigen Personalpronomen verlangt hätten. Es war eine virtuose Vorstellung im Vermeiden geschlechtlicher Eindeutigkeit, woraus ich schloß, daß die Person männlich und ausgesprochen heterosexuell gewesen sein mußte. Beim Kaffee verblüffte sie mich dann, indem sie die Augen niederschlug und sagte: «Sie stehen Mr. Margin sehr nah, nicht wahr?» Das glaubte ich schon, sagte ich. Und da sagte sie: «Ich auch», und berührte meinen Handrücken mit den Fingerspitzen. Sie hatte meine Absicht durchschaut, wollte mich beruhigen und wollte auch, daß ich Mr. Margin beruhigte.
Ich habe vielleicht den Eindruck vermittelt, daß Claire eine üppige Frau war. Aber abgesehen vom Zugspitzen-Effekt war sie eher zierlich, feinknochig, mit zarten Handgelenken und Botticelli-Händen. Sogar ihr Gesicht hatte diesen ernsten
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