Belles Lettres
und offenen Botticelli-Ausdruck, der auf mich wie eine sehr anziehende Mischung aus Schönheit und Dummheit wirkt. Nachdem sie meinen Handrücken berührt hatte, fragte ich mich, ob sie mir ihren Kopf wie eine Katze entgegenrecken würde, wenn ich ihr jetzt mit der Hand Wangen und Hals streicheln würde. Dann hatte ich plötzlich die Phantasie, daß sie ihren Mund öffnen würde, aber nicht, um mich zu beißen, sondern um mir die Hand abzulecken. Und da wußte ich, daß sie Mr. Margins Eifersucht würdig war und beschloß, das mir Mögliche zu tun, damit er sie für sich behalten konnte.
Am Tag nach meinem Treffen mit ihr wollten Mr. Margin und ich eigentlich zusammen Mittagessen, aber er konnte es nicht abwarten und lud mich schon am gleichen Abend zu einem Drink ein. Ich erzählte ihm zwar mehr oder weniger alles, was sie gesagt hatte, verschwieg jedoch, wie angestrengt sie versucht hatte, das Geschlecht der Person zu verschleiern, und sagte einfach, daß ich es nicht herausgefunden hätte. Ihre zärtliche Bemerkung hob ich mir für den Schluß auf, und als ich sie dann zitierte, sah er selbst ein bißchen wie ein Botticelli aus. Aus Dankbarkeit berührte er sogar meinen Handrücken.
Zwei Wochen später bat mich Mr. Margin am Montagmorgen, in seinem Büro Platz zu nehmen, und sagte: «Sie kennen mein Prinzip, daß jedes Redaktionsmitglied eigene Texte für die Zeitschrift beisteuern kann, soweit es seinem Status angemessen ist.»
Ich nickte. Es lag etwas in der Luft.
«Alle sollen entschieden das Gefühl haben, daß er oder sie Teil des Teams sind.»
Ich nickte wieder.
«Und wenn nun hin und wieder jemand unter der Voraussetzung, der jeweiligen Aufgabe gewachsen zu sein, einen Artikel schreibt, ein Buch rezensiert, gibt es keinen Grund, warum er oder sie sozusagen nicht ‹ die Sache in die Hand nehmen sollte › . O ja, ich weiß sehr wohl, daß es Redakteure gibt, die auf dem Standpunkt stehen: ‹ Wir sind die Redakteure, die anderen die Autoren › Aber dem stimme ich nicht zu. Ich denke, daß Redakteure, wenn er oder sie selber zur Feder greifen, zu schreiben lernen und damit auch lernen, wie sie als Redakteur.»
Was mich betraf, hatte ich inzwischen gelernt, wie man Mr. Margin auf die Sprünge half. Meistens reichte es schon, ein bißchen auf dem Stuhl herumzurutschen oder sich am Fußgelenk zu kratzen. Diesmal geriet mir etwas ins Auge. Ich zog und zupfte an meinem Lid herum und ließ die Augäpfel rollen.
«Kommen Sie zurecht?» fragte Mr. Margin und lehnte sich vor. «Brauchen Sie ein Taschentuch?» Mit spitzen Fingern zog er eins aus seiner Brusttasche und hielt es mir hin.
«Alles klar», sagte ich, nahm das Taschentuch und rollte weiter mit den Augen. «Schon weg», sagte ich und wischte mir den Augenwinkel aus. «Puh!» stöhnte ich.
Mr. Margin ließ mir Zeit, mich zu sammeln, und sagte dann: «Um auf den Punkt zu kommen: Claire hat mich um den neuen Graham Greene gebeten.»
Ich nickte.
«Nicht um ein Exemplar des Buchs», sagte er, «sie möchte es rezensieren.»
«Rezensieren!» sagte ich.
«Rezensieren», sagte er.
«Ist Claire dem wirklich gewachsen?»
«Sehen Sie doch einmal selbst», sagte er und zog aus seinem Schreibtisch ein fünf- bis sechsseitiges Typoskript.
«Sie meinen, sie hat schon?»
«Ja», sagte er, «so schlecht und recht.»
Claire war die perfekte Tippse, aber diese Seiten wimmelten von handschriftlichen Einschüben, Streichungen und Ersetzungen mit zahlreichen Umstellungspfeilen. Die Seiten sahen wie Ausschnitte einer Straßenkarte aus. Natürlich handelte es sich bei den Eingriffen um Mr. Margins Versuch, die Sache hinzubiegen.
«Würden Sie sich das einmal durchlesen?» fragte er so behutsam wie möglich.
«Natürlich.»
«Und würden Sie auch versuchen», fügte er hinzu, «aus meinen Kritzeleien zum...»
«... Kern der Sache vorzustoßen?» schlug ich vor.
«Le cliche juste», sagte er mit untröstlichem Lächeln.
Claire war zweifellos eine ehrgeizige, junge Frau. Ich erinnerte mich, daß sie schon früher versucht hatte, von Lou Bodoni entdeckt zu werden, Büroleiterin und kesser Vater von Belles Lettres. Lou reagierte begeistert, und zwischen den beiden ging wie in einer Wechselstube eine ganze Weile allerlei Papier hin und her. Später erfuhr ich, daß das Papier mit Claires literarischen Versuchen bedeckt war, die von Lou lektoriert, von Claire überarbeitet und erneut von Lou lektoriert wurden - und so weiter. Lou sagte sogar eines Tages
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