Ben Driskill - 02 - Gomorrha
bedrängten ihn bereits zwei andere Journalisten, einer von Time, einer vom Rolling Stone.
»He, Ben«, begann Murge. »Was haben Sie zu dem LaSalle-Bericht zu sagen?«
»Mr. Driskill«, fragte Felicida Lang, »was haben Sie in der Nacht, als Drew Summerhays ermordet wurde, auf Shelter Island gemacht?«
Buckmann fügte keuchend hinzu: »Äußern Sie sich doch gleich hier, Mr. Driskill. Machen Sie reinen Tisch, ansonsten …« Er zuckte mit den massigen Schultern und ließ die Alternative in der Luft hängen.
Driskill wartete, bis sie keine Fragen mehr stellten.
Mehrere andere Reporter waren aufmerksam geworden und kamen herüber. Wie konnte er sie entschärfen? Er hatte keine Wahl. Es war Nixon-Zeit.
»Wir wissen doch alle genau, wie Mr. LaSalle seine Programme gestaltet. Ich sehe eine Gruppe Männer mit Ideen, die sich in einem dunklen Raum um ihn scharen und Vorschläge machen, wie man eine Geschichte unappetitlich aufbereiten könnte. Wen können wir am tiefsten verletzen? Wo ist der Schmerz? Offensichtlich hat sich jemand diese verrückte Geschichte aus den Fingern gesaugt. Sie hat LaSalle gefallen. Er hat sich überlegt, wie er sie bringt, und ist auf Sendung gegangen. Kein Wunder, daß seine Quelle anonym ist – wahrscheinlich jemand, der für ihn arbeitet, der Typ, der die Idee gehabt hat. Lassen Sie mich eins klarstellen: ich war in jener Nacht nirgendwo nahe Shelter Island, und LaSalle liegt völlig falsch, aber das tut er sich ja ständig an.«
»Dann nennen Sie ihn einen Lügner?« fragte Murge.
»Ist das zu weit hergeholt?« Die Journalisten lächelten, aber keiner lachte. Offenbar war es für Ironie noch zu früh am Morgen. »Selbstverständlich nenne ich ihn einen Lügner. Und nun lassen Sie uns den Rest des Tages bewältigen.«
Freundlich lächelnd, schob er sich durch die Menge zum Bus. Es würde noch schlimmer werden. Er mußte die Leute vom Präsidenten ablenken; das war gut und schlecht, nahm er an, aber für Ben Driskill eindeutig schlecht. Am liebsten wäre er in der Versenkung verschwunden und dort geblieben. In Gedanken sah er plötzlich das Gesicht eines hocherfreuten Dade Percivals. Dieser verdammte LaSalle! Und wenn er tatsächlich einen Zeugen hatte … sinnlos, sich jetzt deshalb Sorgen zu machen. Es war nicht LaSalles Stil, lebende echte Zeugen zu haben.
Sie saßen hinten im Wahlkampfbus des Präsidenten. Linda und der Präsident sprachen vorne zu einer Schar Journalisten.
Linda Bonner fing Driskills Blick auf und hielt strahlend lächelnd die gekreuzten Finger hoch. Die Lage hätte nicht rosiger sein können. Das sah man an ihrem Gesicht. Vielleicht war sie in der Verdrängungsphase, wie Ellen Thorn zu sagen pflegte.
Der erste Halt war in der Kleinstadt Lincoln, Virginia, wo der Präsident geboren war und immer noch eine kleine Rechtsanwaltskanzlei mit irgendwelchen Vettern betrieb. Der Bus fuhr eine große Schleife und hielt vor dem General Store, der direkt aus den alten Zeiten bei MGM zu stammen schien, als Mickey und Judy nach einer Scheune suchten, um eine Show auf die Beine zu stellen. Drei Busladungen Journalisten folgten, ebenso zwei Übertragungswagen des Fernsehens. Alle parkten dicht vor den leuchtend rotgelben Blumenrabatten. In Lincoln war die Zeit stehengeblieben. Zwanzig oder dreißig Einheimische standen vor dem Laden und klatschten laut, als Charlie und Linda erschienen. Sie hatten ihn ihr ganzes Leben lang gekannt. Sie mochten ihn, aber es war nicht, als wäre Clint Eastwood gekommen, um einen Film zu drehen.
»Wie läuft’s denn so, Charlie?« rief jemand. Eine Frau hielt ein Baby im Sonnenanzug und Mützchen hoch und rief: »Mr. President, ich habe einen neuen Wähler, der auf ein Küßchen wartet.« Und – ganz klar – Charlie, der aussah, als ginge er zu einer Golfpartie, ging zu ihr und küßte nicht nur das Baby, sondern auch die Mutter, und schüttelte dem Vater die Hand. Anscheinend hatte er etwas Nettes und Lustiges gesagt, denn alle lachten.
Ein Mann nahm den Arm des Präsidenten und stellte sich schnell vor den Leibwächter des Geheimdienstes, der völlig verzweifelt war. In einer Stadt wie Lincoln, in der alten Heimat, verloren die Leibwächter beinahe den Verstand, weil ihr Job hoffnungslos war. Charlie kannte diese Menschen, und, bei Gott, niemand würde ihn vor ihnen schützen. Es war eine Riesenfotogala. Reporter, Fotografen, Fernsehteams drängten sich auf der Straße unter die Einheimischen und bemühten sich, sie aus dem Weg
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