Benjamins Gärten (German Edition)
köpft, wird es Seeblick haben.«
An der See also. Das liegt nicht gerade auf dem Weg zu mir.
»Bis nächste Woche.« Sanftheit in seiner Stimme. Es knackt in der Hörmuschel, als er auflegt. Stille. Ich höre nur noch den Bach plätschern, Wasser über seine Brust rinnen. Seinen Atem.
Anna
Am Himmel ziehen graue, üppige Wolken auf. Lassen nur noch wenige Stellen frei, haben die Sonne schon versteckt. Die Luft ist drückend, jeder Grashalm wartet auf Regen. Ich springe über den Bach, gehe zwischen den Bäumen hindurch. Zwei Fenster stehen weit offen. Es wird auch Zeit. »Nächste Woche« ist schon vorbei. Ich bleibe hinter dem letzten Baum stehen. Ich wollte ihn auch einmal warten lassen. Schon heute Mittag erzählte mir der Nachbar, dass der seltsame Mann in der Villa mal wieder da sei. »Den du ja auch kennst« , komischer Unterton in seiner Stimme, neugierig, aber arglos. Ich habe gewartet, meine Sehnsucht gezügelt.
Die Villa sieht einladend aus, mit Leben gefüllt, die Haustür ist geschlossen. Hinter einem Fenster bewegt sich ein Schatten. Ich zögere nicht länger, gehe schnell hinüber, lasse für einen Moment die Freude darauf zu, ihn wiederzusehen. Ich klopfe an die Tür. Eine junge Frau im roten Kimono öffnet mir. Ich starre sie an, verwirrt und enttäuscht. Sie lächelt amüsiert, öffnet die Tür weiter.
»Hallo Benjamin. Ich bin Anna, eine Freundin von Marek. Komm doch rein.« Sie lässt die Tür offen stehen, dreht sich um und geht ins Haus. Schaut nicht, ob ich ihr folge. Ich trete über die Schwelle. » Komm doch rein.« Ist das ihr Haus? Sie sitzt am Küchentisch, als wäre sie hier zu Hause. Sie hat ihre langen braunen Haare mit Stäbchen wild auf dem Kopf zusammengesteckt.
»Wir sind heute Mittag gekommen. Marek ist einkaufen gefahren. Willst du auch ein Marmeladenbrot?«
Sie fährt fort, große Scheiben dunklen Brotes, die auf dem nackten Holztisch liegen, mit Butter und Erdbeermarmelade zu bestreichen. Ich setze mich schwunglos, noch immer irritiert über ihre Inbesitznahme des Hauses. Sie hat hier Gast zu sein, nicht ich. Wenngleich sie sich gut darin macht, ihre Größe, ihre Körperlichkeit beherrschen den Raum. Ich betrachte sie verstohlen. Wortlos schiebt sie mir ein Brot hin. Die Mischung aus Süße und Herbheit füllt meinen Mund. Sie stellt einen ihrer bloßen Füße auf den Stuhl, ihr nacktes Bein kommt zum Vorschein, lang und gebräunt.
»Marek wollte mir die Villa mal zeigen. Er schätzt meine Meinung über Häuser«, sie zögert einen winzigen Moment, »ich glaube, er wollte auch, dass ich dich mal kennen lerne.« Sie schaut mich an.
Ich halte ihrem Blick stand: »Schätzt er auch deine Meinung über Männer?«
»Oh, das ist nicht mein Fachgebiet«, sagt sie mit einem verschmitzten Lächeln, »keine Angst, ich bin nicht hier, um dich zu begutachten.«
Ihre grünen Augen funkeln mich freundlich an, ihre Stimme wird weicher, als sie sagt: »Er hat mir schon viel von dir erzählt. Das hat er noch nie gemacht.«
Ich werde rot: »Was hat er denn so erzählt?«
»Verschiedenes«, antwortet Anna ausweichend. Erst nach einer Weile wird mir klar, dass ich besser gefragt hätte: Was hat er noch nie gemacht? Und warum?
Ich greife zum nächsten Marmeladenbrot, schaue sie nicht an, kaue still. Sie ist die erste Freundin von Marek, die ich kennen lerne. Der erste andere Mensch, der ihm nahe steht und den er mich treffen lässt. Sein Leben außerhalb bekommt mit ihr Gestalt, ist nicht mehr so nebulös. Anna ist die Bestätigung seiner Existenz. Fragen brennen mir auf der Zunge. Über sein anderes Leben. Das er ohne mich führt, mit Menschen teilt, die ich nicht kenne, vielleicht mit anderen Männern.
Ich blicke aus dem Fenster, draußen ist es dunkler geworden, Wind ist aufgekommen. Der offene Fensterflügel schlägt mit einem leisen Klacken immer wieder an den Rahmen. Dann setzt der lang erwartete Regen mit großer Heftigkeit ein. Wir drehen beide den Kopf zum Fenster, Anna springt auf.
»Endlich! Komm mit.« Sie läuft aus dem Raum. Ich bleibe stehen, überlege einen Moment, ob man nicht das Fenster schließen sollte, durch das es hereinregnet. Doch dann folge ich ihr und ihrer Begeisterung. Sie reißt in der Veranda alle Fenster auf: »Ich liebe Sommerregen.«
Große Tropfen prasseln nieder, spülen im Handumdrehen das Drückende aus der Luft und die Trockenheit aus der Erde. Anna steigt durch ein Fenster nach draußen, stellt sich mitten in den Regen. Sie breitet ihre Arme
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