Benjamins Gärten (German Edition)
deine Schulter laufen. Es folgt der Linie deines Schlüsselbeins, fließt deine Brust herab.
Du lächelst. Ich greife in deine Haare, ziehe deinen Kopf heran. Wir küssen uns mit offenen Mündern. Langsam, tief. Ich bestimme den Rhythmus. Du überlässt mir deinen Mund. Ich beuge mich immer weiter vor, bis wir beide das Gleichgewicht verlieren und ins Wasser fallen. Wir lachen, du wuschelst mit deinen nassen Händen durch meine Haare. Uns gegenseitig stützend kriechen wir die Uferböschung hoch und können uns vor Lachen kaum halten.
Wir legen uns ans Ufer, beruhigen uns. Sonnenlicht fällt gefiltert durch die Blätter, kitzelt meine Lider.
»Was machen wir jetzt?«, frage ich nach einer Weile.
»Ich muss dann bald los«, antwortest du leise.
»Was? Wieso?« Ich richte mich auf. Warst du schon zu lange hier bei mir? Ist es über die Zeit? Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen. Du blinzelst zu mir hoch, beschattest die Augen mit deinem Arm.
»Hey, nimm es doch nicht schwer. Ich bin bald zurück.«
Nicht schwer. Es würde mir leichter fallen, wenn es nicht immer so plötzlich käme. Wenn du mir sagst, wann du wiederkommst oder wohin du gehst. Dich meldest, dich versicherst, dass ich auf deine Rückkehr warte. Du schaust mich immer noch an, eine Spur Traurigkeit in deinen Augen.
»Mensch Benni, ich muss eben was erledigen, es geht doch nicht um dich.«
Ich starre ihn an. Diese Worte. Dass er ausgerechnet diese Worte zu mir sagen muss. Ich springe auf und durchquere den Bach. Stürze davon ohne ein weiteres Wort, den Blick starr nach vorn gerichtet. Durch die Bäume zur Straße hoch. Halte nicht an. Wasser tropft von meinen Hosen, meine nackten Füße hinterlassen feuchte Tapsen auf dem warmen Asphalt. Ich renne nicht mehr, aber ich laufe schnell. Die Sonne brennt in meinem Nacken, macht mich benommen. Ich lasse die Häuser hinter mir, biege in einen Pfad zwischen Wiesen. Labsal für meine Füße. Ich bleibe einen Moment stehen, blicke auf. Im Licht des späten Nachmittags leuchten die Wiesen auf. Eine Katze auf der Jagd verharrt wie eine Statue. Eine Brise bringt die Blätter der Pappeln zum Rauschen. All das sehe ich, aber es dringt nicht zu mir vor wie sonst. Ich laufe weiter, halte erst am Bach an. Auf der anderen Seite schimmert goldgrün ein Feld mit Wintergerste, zieht sich die Wellen des Hügels hinauf, erstreckt sich weit. Ich lasse mich ins Gras fallen, blicke hinüber.
»Es geht doch nicht um dich.« Bitter eingebrannter Satz aus der Vergangenheit. Ein abgedunkeltes Zimmer, Schachteln mit Medikamenten auf dem Nachttisch, Bücher, der Geruch von Salbe. Vater im Schuppen, versteckte Bierbüchsen zwischen den Brettern. Meine Tante, von weit her angereist, das erste Mal zu Besuch. Sie trug eine Schüssel mit Waschwasser nach unten, ein Handtuch über der Schulter, spielte sich als Pflegerin auf. Zog mich in eine Ecke, flüsterte.
»Du kannst sie nicht mit deinen Wünschen belästigen, es geht jetzt nicht um dich.« Alles, was ich wollte, war eine kleine Stereoanlage für mein Zimmer, ich wollte nur ungestört Musik hören. Mich zurückziehen, nur für eine Stunde am Tag draußen lassen, was das ganze Haus erfüllte. Es war seit Monaten der erste Wunsch, den ich aussprach. Ich wusste nichts zu antworten, zu erschöpft, um wütend zu sein.
Wir waren zuvor auch ohne meine Tante klargekommen, ohne ihre klugen Ratschläge. Sie stand das erste Mal an diesem Bett, sie hatte kein Recht, sich einzumischen. Sie hatte keine Ahnung. Es war nicht ihr Leben, sie war nur eine Besucherin. Ich war sechzehn und es hätte um mich gehen sollen, einmal wenigstens. Sie sprach so klug, so sanft, war aber nicht warmherzig genug, einen Moment lang mich zu sehen. Den Jungen, der Schnitten schmierte, Tabletts nach oben trug, die Wäsche auf die Leine hing, eine große Stütze war, so tapfer. Alle lobten mich flüsternd.
Es wurde überhaupt viel geflüstert. Die Leute flüsterten, wenn sie die Treppe wieder hinuntergingen. Der Arzt besprach leise Diagnosen mit meinem Vater. Mitfühlende Frauen, Teller mit Kuchen in der Hand, flüsterten an der Haustür mit mir. Rücksichtnahme. Dinge, die sie nicht hören sollte. Kranke haben gute Ohren, es ist so viel Ruhe um sie. Sie bekommen mehr mit, als sie sollen, hören es. Spüren es.
Das gut gemeinte Mitgefühl der Frauen mit dem Kuchen tropfte an mir herab, ohne mich zu berühren. Es nützte wenig. Keiner sah, was ich nötig gehabt hätte. Mutter vielleicht. Aber sie war nicht
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