Benjamins Gärten (German Edition)
in der Lage, für mich da zu sein. Wir hatten die Rollen getauscht.
Es wäre die Aufgabe von jemand anderem gewesen. Doch er wirkte oft hilflos wie ein Kind. Blieb im Türrahmen stehen, schaute seine Frau mit großen feuchten Augen an, sagte nette, weiche Worte, ging wieder. Ich blickte aus dem Fenster, sah ihn fortgehen, sah ihn wiederkommen mit einer großen Tüte in der Hand. Die er in den Schuppen trug, sich an der Tür kurz umblickte.
Er schlief jede Nacht auf der Couch, verbannt, weil er besonders laut schnarchte, wenn er getrunken hatte. Wahrscheinlich nicht böse darüber, dem entfliehen zu können, was er nicht ertragen konnte. Einmal bat sie mich, bei ihr zu schlafen. Ich lag im Ehebett, dem Bett meines Vaters. Sie wollte in der Dunkelheit mit mir reden, suchte Zuspruch. Aber ich konnte nichts sagen, drehte mich zur Wand. Sie dachte sicherlich, ich sei wegen ihrer Krankheit traurig, aber ich dachte an David, ich war traurig wegen meiner Jugend, die keine mehr war. Und ich schämte mich, weil ich deswegen unglücklich war.
Ich setzte mich jeden Tag auf die Bettkante und wir redeten leise. Über die Schule. Darüber, was sie alles tun wollte, wenn sie wieder gesund sei. Wir redeten nie über ihre Krankheit, über die Aussichtslosigkeit, über den Tod. Nie über ihre heimlichen Tränen oder meine Traurigkeit. Ich wollte alles Traurige von ihr fernhalten. Das war schwer, nur mit Schweigen zu bewältigen manchmal. Bemerkte sie doch auch, dass nicht er ihr das Essen brachte, nicht er die frische Wäsche in den Schrank legte. Sie und ich waren ein eingespieltes Team, das solche Momente überging, für Ablenkung sorgte, über anderes redete. Wir redeten nicht über seine Verzweiflung und das Selbstmitleid, in dem er zerfloss. Nicht über seine glasigen Augen, das so offensichtliche Zittern seiner Hände.
Als sie schließlich doch wieder ins Krankenhaus musste, waren unsere Ablenkungsmanöver hinfällig geworden und zu anstrengend. Auch wenn ich allein an ihrem Bett saß. Nicht zu übersehen war, dass ich allein gekommen war. Morphium gleichmäßig durch den Schlauch in ihrem Arm tröpfelte. Hoffnung nur noch eine Farce war. Eine Welt, in die sich Sterbende zurückziehen, umhüllt von Morphiumwolken.
Der Tag, als ich wusste, dass ich sie das letzte Mal sehen würde. Sie trieb am Rande der Bewusstlosigkeit. Seltene Augenblicke der Wachheit. Es war ganz still, das andere Bett leer. Frühling lag in der Luft, wehte zum offenen Fenster herein, kam nicht gegen den Krankenhausgeruch an. Über den Hof liefen kleine Menschen, gingen alltäglichen Beschäftigungen nach. Das normale Leben, abgeschnitten von mir. Ich stellte den Stuhl neben ihr Bett, schlug meine Schulbücher auf, lernte für eine wichtige Klausur. Dankbar, lernen zu müssen, beschäftigt zu sein. Ihr Blick ganz klar einen Moment, ich nahm ihre Hand. Sagte, dass am nächsten Tag eine wichtige Klausur anstehen würde.
»Mach deine Sache gut, du wirst es schaffen.«
»Du kannst dich auf mich verlassen.« Drückte ihre Hand. Ein Versprechen. Weit über jede Klausur hinaus. Sie schloss die Augen wieder, erschöpft. Ich weinte auf dem Gang, als ich ging. Am nächsten Morgen, die Straßenlaternen leuchteten schwach durch die Vorhänge, rief das Krankenhaus an.
Ich weine wie lange nicht mehr. Da ist immer noch Schmerz, nicht abgeschliffen durch die Zeit. Sie heilt nicht. Da ist immer noch Traurigkeit, jetzt mehr als damals. Damals hielt ich den Schmerz fern, war wie betäubt. Ließ ihn nur zu, wenn Halt in der Nähe war. Tröpfchenweise Schmerz, stückchenweise Erinnerung.
Ich überblicke das weite Feld, das im Wind wogt wie ein hellgrünes, seidiges Meer, und ein Knoten löst sich in meiner Brust.
Mein Telefon ist ein Museumsstück aus schwarzem Bakelit. Es riecht eigenartig, hat einen schweren Hörer und eine Wählscheibe. Es klingelt selten. Es klingelt so laut wie ein alter Wecker mit Schellen.
»Benjamin?«
»Marek?!« Stille in der Leitung. Er hat mich noch nie angerufen, noch nie. Es knistert ein bisschen im Hörer, dann ist es wieder still. Die Dunkelheit im Zimmer hat nur die Konturen der Möbel übrig gelassen.
»Ich komme ja nächste Woche schon wieder.«
Mein »Hm« ist so leise, dass es wahrscheinlich nicht durch die Leitung dringt. Schweigen.
»Ich werde morgen ein Haus kaufen. Wunderschön, ein Traum.«
»Wo?«, frage ich tonlos.
»An der See. Es ist weiß, mit einer riesigen Veranda, einem Gründerzeitbalkon, und wenn man die Bäume
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