Benjamins Gärten (German Edition)
aus, der Kimono öffnet sich weit am Ausschnitt, reckt ihr Gesicht mit geschlossenen Augen dem Regen entgegen. Steht da wie eine japanische Wettergöttin, die Tropfen rinnen über ihre Haut, dringen in ihr Haar. Dann öffnet sie ihre Augen wieder, schaut mich erstaunt an.
»Komm auch raus, Benjamin, der Regen ist ganz warm und weich. Mairegen soll schön machen.«
»Wir haben Juni, außerdem hast du’s nicht nötig«, sage ich trocken. Lachend kommt sie auf mich zu, nasse Strähnen hängen ihr ins Gesicht.
»Sei nicht so prosaisch, komm raus.« Sie hält mir ihre Hand hin. Ich lasse mich von ihrer Lebensfreude mitreißen, nehme ihre Hand und steige hinaus. Anna zieht die Stäbchen aus ihren Haaren, lässt sie über die Schulter fallen. Lächelt mich aufmunternd an und schließt wieder die Augen. Der Regen ist warm auf meiner Haut, spült Schwere weg. Langsam schließe ich meine Augen und lege den Kopf in den Nacken. Die großen Tropfen zerspringen auf meinem Gesicht. Ein angenehmer Geruch steigt mir in die Nase, warmer Geruch der fortgespülten Hitze, der von der Erde aufsteigt. Anna nimmt wieder meine Hand, steht mit mir im Regen.
So heftig, wie der Regen gekommen ist, lässt er auch wieder nach. Ich öffne die Augen, Anna wischt sich über das Gesicht, steckt ihre nassen Haare wieder zusammen. Wir steigen über das Verandafenster zurück ins Haus.
»Hast du Lust, mir das Dorf zu zeigen?«
»Jetzt?«
»Warum nicht? Ich komme gleich.« Sie geht nach oben.
Marek müsste bald zurück sein. Wir sollten hier sein, wenn er kommt. Unschlüssig bleibe ich im Flur stehen. Anna kommt die Treppe herunter, sie trägt eine Wickelhose und ein buntes, besticktes Top.
»Kommst du?«
Nun, ich denke, er kann auch einmal warten. Ich folge Anna aus dem Haus. Wir gehen durchs Dorf, die Hauptstraße entlang. Ich zeige ihr die Wiesen, Gehöfte und meine alte Schule. Mehr gibt es nicht zu sehen. Anna sagt nichts, sieht sich nur um. Schon nähern wir uns dem Ende des Dorfes. Eine dürftige Führung. Ich habe eine Idee: »Es gibt noch etwas, komm mit.«
Ich biege in eine Straße ein. Zwischen den Bäumen wird die Fabrik sichtbar. Das Abendlicht taucht sie in warmes Rot, durchleuchtet die großen, sakral anmutenden Bogenfenster. Anna bleibt mit offenem Mund stehen.
»Die alte Spinnerei aus dem neunzehnten Jahrhundert.« Ich helfe ihr, über das Tor zu klettern. Wir gehen um das Gebäude. Der Putz bröckelt, Fensterscheiben fehlen, an einer Ecke wachsen junge Birken.
»Kann man auch hinein?«, fragt Anna.
»Du machst dich schmutzig.«
Anna lacht nur und geht entschlossen um das Gebäude. Sie findet ein offenes Fenster und steigt noch vor mir hinein. Wir gehen durch einen schmalen Gang, steigen eine Treppe hinauf, die in der zweiten Etage endet.
Der große, nur von einigen Säulen unterteilte Raum ist von Licht durchflutet. Auf allen Seiten befinden sich von Sprossen untergliederte Fenster. Anna geht herum, während ich einfach nur gebannt stehen bleibe.
»Das ist umwerfend«, sagt sie schließlich.
»Ja.« Ich stehe da und staune. Die Weite und Leichtigkeit des Raumes geben ihm eine Schönheit, die ich nicht erwartet habe. Ich stelle mir vor, wie Marek aus den Fabriketagen großzügige, extravagante Wohnungen machen könnte. Bis mir einfällt, dass auf dem Dorf niemand so etwas braucht.
Anna tritt neben mich: »Hast du das Marek mal gezeigt?«
Ich schüttle den Kopf.
»Solltest du.«
Wir verlassen das Gebäude so, wie wir gekommen sind. Im Hof blicke ich mich noch einmal um, sehe an der Außenwand hoch: »Die Fabrik steht zwar unter Denkmalschutz, aber wenn sie weiter so verfällt und sich niemand dafür findet, soll sie abgerissen werden.«
Zum ersten Mal wird mir bewusst, wie sehr ich das bedauern würde. Nicht nur wegen des alten Schwimmbades im Keller, sondern weil sie zum Ort gehört, zu seiner Geschichte.
Anna sieht mich von der Seite an: »Du solltest mehr reden, Kleiner. Nicht jeder kann Gedanken lesen.«
Ich schaue sie nicht an.
»Mich stört es nicht, aber ich denke, dass es nicht uninteressant wäre, was du zu sagen hast.«
Ich schaue sie immer noch nicht an, habe die Wärme in ihrer Stimme nicht überhört. Aber ich weiß nichts zu antworten.
Als wir zurückkommen, brennt in der Villa Licht. Der Cadillac steht vor dem Haus. Marek ist in der Küche, Einkäufe, Gemüse und Schüsseln füllen den Tisch und den Rand der Spüle.
»Da seid ihr ja. Wir können essen.« Er küsst mich, nimmt es
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