Benkau Jennifer
zurück. Die Reifen drehten mehrmals durch, wenn die Steigung zunahm. Samuel, wieder unter lakonischer Ruhe maskiert, schüttelte leicht das Lenkrad, um Bodenhaftung zu finden und gab mehr Gas.
Sie erreichten die Lichtung, die Samuel für die Beschwörung gewählt hatte. Immer noch nieselte es unaufhörlich. Kälte kroch unter die Kleidung, kaum dass er die Autotür öffnete. Die Standbeleuchtung zog eine blasse Lichtschneise durch die Dunkelheit. Durch eine dünne Wolkendecke schimmerte der Mond als milchiger Schatten, sein fahles Hellgrau fand sich in Nebelschwaden wieder, die zwischen den die Lichtung einschließenden Bäumen waberten. In einiger Entfernung wurden die Schatten des Waldes von einem Hochsitz überragt. Aus dem schwarzen Nirgendwo drang das Gemurmel eines Baches.
„Horrorfilmszenario.“ Helena schauderte. Dann lächelte sie tapfer und wies mit dem Kinn auf ein paar leere Bierflaschen, Chipstüten und anderen Müll, der um den verkrüppelten Stamm einer windschiefen Schwarzpapel verteilt lag. „Die Umweltschweine, die hier gefeiert haben, wurden schon vom Werwolf gefressen.“
„Dann war es wohl Bio-Wolf, der neue Superheld der Öko-Aktivisten“, gab Samuel zurück, aber das Scherzen verging ihm sofort wieder. „Ist es hell genug, um deine Zeichen in den Boden zu ritzen?“
Helena machte Anstalten, ihre Arme um den Oberkörper zu schlingen, hielt jedoch in der Bewegung inne, als er sie ansah. Nickend öffnete sie die hintere Autotür und griff nach ihrer Tasche. Gewiss war ihr kalt und definitiv zitterte sie vor Angst, doch sie wollte es vor ihm verbergen. Das rührte und bekümmerte ihn zu gleichen Teilen. Ebenso sehr, wie die Tatsache, dass sie ihren einzigen Schutz, ihren Hund, in Sicherheit zurückgelassen hatte. Es war typisch für Helena, sich um andere mehr Sorgen zu machen, als um sich selbst.
Samuel folgte ihr, als sie mit langsamen Schritten die Lichtung überquerte, den dolchförmigen Brieföffner bereits in der Hand und den Blick zu Boden gerichtet, als suche sie etwas.
„Viele Insekten deuten auf sicheren Boden hin.“
Sie bückte sich, schob mit dem Griff des Brieföffners einen fast fingerdicken Tausendfüßler zur Seite, der sich erschrocken zu einer Kugel zusammenrollte, und grub mit den Fingern in der lockeren obersten Erdschicht. Dann schloss sie die Augen und öffnete sie kurz darauf wieder.
„Spürst du etwas, Helena?“
„Sehnsucht nach meiner Mama“, erwiderte sie trocken. „Ehrlich gesagt, ich bereue gerade, ihre Unterhaltungen mit Mutter Erde nie ernst genommen zu haben. Ich habe keine Ahnung von diesem Kram. Aber an dieser Stelle fühlt sich der Boden zumindest nicht akut gefährlich an, von daher mache ich es hier. Einen besseren Ort werde ich kaum finden.“
Helena atmete tief ein und trieb den Brieföffner mit einem Hieb bis zum Heft in den Boden. Sie zog ihn wieder heraus, und ehe Samuel ein Wort sagen konnte, stach sie sich die schmutzige Klinge in die Kuppen von Zeigefinger, Mittelfinger und Daumen. Sie presste die verletzten Finger zusammen und ließ drei Bluttropfen in das schmale Erdloch fallen.
Immer noch hockend zeichnete sie mit der Klinge einen Kreis von einem knappen Meter Durchmesser in die Erde, wobei das Loch den Mittelpunkt darstellte. Dann folgten die Linien, die einen fünfzackigen Stern darstellten. Ein Pentagramm.
„Das Signum soll mich schützen“, erklärte sie. „Ich darf es nicht mehr verlassen, sonst wird der Zauber unwirksam.“ Sie presste ihre Finger gegeneinander und drückte weiteres Blut hervor, ließ an jedem Punkt, an dem die Spitzen des Sterns die Kreislinie trafen, ein wenig niedertropfen. „Drei Teile für die Mitte und einen für jede Richtung. Der neunte Teil ist für mich, damit ist das magische Pentakel geschlossen.“
Sie legte ihre wunden Fingerkuppen an die Stirn und malte einen schlierigen, hellroten Kreis, einem indischen Bindi ähnelnd. Der kurze Blick, den sie Samuel zuwarf, gab ihre Unsicherheit preis.
„Wage es ja nicht, zu lachen, wenn ich gleich verschwörerisch zu murmeln beginne. Ich hoffe nur, dass ich mich an die Worte erinnern kann. Mein Kopf ist wie leer gefegt.“
„Ich weiß, dass du es schaffst“, sagte er aufrichtig, und wollte zu ihr treten, um sie zu umarmen. Doch sie hielt ihn mit einer Handbewegung zurück.
„Ich muss im Schutz des Pentakels bleiben und du außerhalb. Sobald wir die spirituelle Grenze durchbrechen, schützt sie mich nicht länger.“
Samuel gab sich Mühe,
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