Benkau Jennifer
der Hängelampe vorbei. Singend durchtrennte der tödliche Stahl die Luft. Samuel schien nicht einmal hinzusehen, sein Blick blieb bei Helena, die sich konzentrieren musste, den Mund geschlossen zu halten. Sie fühlte sich unweigerlich an den Moment erinnert, als er in Tonis Refugium Geige gespielt und sie ihn aus dem Geschäft heraus belauscht hatte. In seiner Kata lag der gleiche Zauber, den sie in seinem Geigenspiel hatte hören können. Die Gelassenheit und Leichtigkeit, die man sich nur durch sehr viele Jahre harten Trainings aneignen konnte. Offenbar erriet er ihre Gedanken, denn er pfiff leise die Melodie von Fluch der Karibik vor sich hin, ohne dass sie seinem Atem die geringste Anstrengung anhören konnte. In seinen Augen blitzte der Schalk.
„Hoppla“, meinte er tief, die Klinge sinken lassend. „Offenbar bin ich ein Naturtalent.“
Eindeutig war es sein Plan gewesen, ihre Anspannung zu lockern, und das gelang ihm mühelos. „Ironie, dein Name sei Samuel.“
„Dann glaubst du, ich kann damit umgehen?“
„Ich glaube, dass du ein Angeber bist.“ Sie trat näher und küsste ihn sanft auf den Mundwinkel. Alle weiteren Worte flüsterte sie. „Aber ich weiß eines. Wenn jemand einen Dämon bekämpfen kann, dann du.“
„Du sagst es. Wenn. Wenn es denn möglich ist.“ Mit dem Schwertarm umfasste er ihre Taille, drückte den Knauf der Waffe leicht, aber drohend, in ihren Rücken. „Der Versuch, zu fliegen, endet meist im Dreck, Helena. Noch kannst du zurück.“
Das „Nein“ blieb ihr für einen Augenblick des Zögerns wie eine spitze Gräte im Hals stecken. „Sag mir eines: Willst du diesen Kampf, Samuel? Sag die Wahrheit!“
„Ich habe keine Angst, wenn du das glaubst.“ Sein Blick glitt über ihrer Schulter hinweg ins Leere. „Nur um dich.“
Sie drehte sein Gesicht, sodass er sie ansehen musste. „Das weiß ich. Aber nimm einmal an, mir könnte nichts passieren. Ich will von dir wissen, ob du es willst. Ob du diesen Kampf allein für dich willst, egal wie stark der Gegner ist.“
Samuel wandte den Blick nicht ab, aber er schien ihr plötzlich Jahre weit weg. „Damals, als ich geboxt habe, waren es immer nur die stärkeren Gegner, die mich interessiert haben. Ein bisschen von diesem Boxer ist noch da. Ja, er will seinen Kampf.“ Er schüttelte den Kopf, als wolle er Erinnerungen loswerden. Eine Mischung aus Trübsinn und Entschlossenheit blieb in seinen Zügen zurück. „Ohne einen einzigen Gedanken an Reue würde ich dafür sterben.“
22
Der Tod einer schönen Frau ist wahrlich das poetischste Thema der Welt .
Edgar Allen Poe
H elena quetschte ihre Hände zwischen dem Autositz und ihren Oberschenkeln ein, um zu verbergen, wie sehr sie jetzt schon zitterten. Sie fröstelte trotz der hochgedrehten Heizung. Samuel fuhr schweigend, den Blick konzentriert auf die Straße gerichtet. Die Autoscheinwerfer zeichneten glitzernde Schienen auf den nassen Asphalt, denen die Reifen in die Dunkelheit folgten, als wäre die Möglichkeit des Abbiegens nicht existent. Auf dem Rücksitz klirrten seine Waffen bei jeder Unebenheit der Straße. Die Beretta, die er ihr nach einer kurzen Lehrstunde im Gebrauch einer Handfeuerwaffe gegeben hatte, lag schwer in der Bauchtasche ihres Kapuzenpullovers.
„Du musst hier gleich links in den Forstweg reinfahren“, sagte Helena, während sie ihre Swatch mit Samuels Funkarmbanduhr verglich. Gleich kam es auf die Sekunde an.
Samuel nickte knapp, er wirkte gereizt. Er kannte den Weg und durchschaute offensichtlich, dass sie vermutete, er würde sich absichtlich verfahren, um einen letzten Versuch zu starten, sie von dem Vorhaben abzubringen. Dabei sehnte er sich so danach. Sie hatte es in jeder Faser seines angespannten Körpers gespürt, als sie sich vor einigen Stunden geliebt hatten. Sanft und zärtlich, obwohl sein Körper vor Erwartung auf den Kampf zittrig gewesen war. Er mochte keinen Zorn empfinden können, aber er versprühte eine weißglühende Gier, die dies bedeutungslos machte. Statt von Hass war er von Lust erfüllt, gieriger Lust, den Dämon zu bezwingen und ihr Leben zu schützen.
Unvernünftig schnell lenkte er den Wagen den matschigen Forstweg entlang einen Hang hoch, tiefer in den Wald, und folgte den Spurrillen, die ein Geländewagen erst kürzlich verursacht haben musste. Regentropfen vermischten sich auf der Windschutzscheibe mit Schlammspritzern, die Scheibenwischer verquirlten alles und ließen bei jedem Zug Schlieren auf dem Glas
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