Benkau Jennifer
Helena Samuels Attacke.
„Von oben“, rief sie, als Georg, der sich nach vier Treffern, aus einem Revolver schweren Kalibers getroffen, noch immer behände und geschmeidig bewegte, seine Waffe hob.
Sein hellgraues Hemd war vollkommen blutbesudelt, in seinen Augen glänzte es wild.
Das lief alles falsch. Nach der Beschwörung war ihr buchstäblich der Schädel explodiert. Blut war ihr schwallweise aus der Nase gespritzt, schützendes Hexenblut, sollte sie meinen. Doch Georg hatte sie ohne Mühe aus dem magischen Signum gezogen und zum Auto geschleift.
„Kommen Sie!“
Eine große Hand schloss sich plötzlich um ihren Arm und für einen Moment wurde Helena vor Schreck schwarz vor Augen. Doch es war nur der Förster. Natürlich hatte der auch noch aufkreuzen müssen, womöglich hatte er längst die Polizei gerufen. Sie wand sich in seinem Griff.
„Sie verstehen nicht! Lassen Sie mich los, ich muss ihm helfen!“
„Du musst weg hier, Mädchen“, wies der Mann sie grob zurecht. „Die sind doch wahnsinnig!“
Die? Sah er sie etwa beide? Helena versuchte, sich loszureißen, aber der Mann hielt sie fest. Grob, kalt und zwingend.
Georg schlich vor Samuel auf und ab wie ein Raubtier, versuchte, an ihm vorbeizugelangen, attackierte ihn jedoch nicht offensiv. Helena sah, dass er redete, er schien auf sie einzureden, doch der Abstand war inzwischen zu groß, als dass seine Stimme das Rauschen in ihren Ohren hätte übertönen können.
Der Förster zerrte noch einmal ruppig an Helenas Arm, schloss einen Arm um ihren Brustkorb. Im gleichen Moment brüllte Georg auf und stürzte vor.
„Links!“, schrie Helena Samuel zu.
Samuel glitt in einer fließenden Bewegung in die Richtung und versperrte Georg den Weg und Helena die Sicht.
Dann keuchte er plötzlich auf. Und in dem Moment, als Georgs Pallasch aus Samuels Schulter stak, blieb die Zeit stehen. Helenas Herz polterte so brutal gegen ihren Brustkorb, als wolle es sich gewaltsam einen Weg durch die Rippen brechen und von diesem Ort fliehen. Schwarze Rauchtentakel schlossen sich von hinten um ihren Körper.
Sie begriff im gleichen Augenblick. Sie sah.
Georg hatte Samuel nicht töten wollen.
Georg war nicht der Dämon.
Doch dieser war ganz nah. Zu nah. Er verbarg sich im Körper des Försters und verstärkte seinen Griff um ihren Körper, als sie dies erkannte.
Der Schwung von Samuels Schwertschlag verlor durch seine Verwundung nicht an Kraft und spaltete Georgs Schulter von schräg oben. Doch das registrierte Helena nur peripher, denn eine Rauch schwadernde Hand an ihrem Dekolleté verbot ihrem Herz den nächsten Schlag. Ein unmenschliches Lachen voller Hohn streifte ihren Hals. Um ihre Füße leckten schwarze Nebelzungen. Sie berührten Helenas Körper. Spannen eine zweite Haut aus Dunkelheit und Kälte um sie herum, wie hauchdünne, an ihr haftende Spinnennetze, die erst ihre Knöchel, dann ihre Waden umschlossen. Die Taschenlampe war hinuntergefallen und setzte ein blasses Spotlight auf ein Szenario, welches aus Blut und Entsetzen bestand.
Georg lag am Boden, der Kopf in einem unmöglichen Winkel nach hinten geknickt. Samuel sackte auf die Knie, während er sich zu ihr umdrehte. Auf seinem zerfetzten Hemd unter der Lederjacke blühte eine rote Blume.
Die Spinnennetze hatten Helenas Taille erreicht. Noch immer spürte sie den Krampf in ihrer Brust, die verzweifelten Bemühungen ihres Herzens, einen Schlag zu vollbringen. Aussichtsloses Aufbegehren. Die schwarze Kälte kroch noch höher.
Samuels Lippen formten wortlos ihren Namen. Vielleicht schrie er ihn auch. Sie konnte nichts mehr hören, außer einer hohlen, blechernen Stimme.
„Ein Tod, um tausend andere zu verhindern. Dein Tod. Schade drum.“
Der Mann hinter ihrem Rücken brach zusammen, doch der Dämon aus eiskaltem Nebel, Wut und Hass, hielt sie weiterhin und spielte mit ihren Gliedern, wie mit einer Marionette. Er hob ihren Arm, winkte Samuel damit zu, während seine hundert Hände unter der Kleidung über ihre Haut krochen. Helena konnte nichts gegen diese Demütigung tun, die sie beide traf.
Samuel stürzte nach vorne, fing sich mit den Händen ab. Blut aus einer Wunde am Kopf lief ihm übers Gesicht, über die Wange, und hinterließ eine rote Tränenspur.
Es tut gar nicht weh, wollte sie ihm zurufen, doch es gelang ihr nicht. Es wäre auch gelogen gewesen. Der Dämon ließ ihren Körper fallen, wie eine nutzlose, leere Hülle. Ihr Herz brach, als die dunklen Netze sich über ihre Augen
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