Benkau Jennifer
das, was du willst? Mir ein ähnliches Schicksal auferlegen, wie du es trägst, weil du zu feige bist, einen Schritt nach vorne zu tun?“
„Vergleich das nicht! Du hast nur dieses eine Leben, Helena.“
„Umso wichtiger, es nicht mit Schuld zu beladen, die ich nicht tragen kann. Ich bin nicht so stark wie du. Lass nicht zu, dass ich daran zerbreche.“
„Aber du …“, er rieb sich fahrig den Nacken, blickte unstet umher, als stünden unsichtbare Argumente in der Luft, „du bist unschuldig. Du hast nichts falsch gemacht. Du verdienst das nicht. Ich schon.“
Nein, du ebenso wenig, dachte sie, schwieg jedoch. Er kapselte seinen Stolz in dieser fatalistischen Schuld ein, sie durfte nicht daran rütteln, wenn sie ihn nicht noch tiefer verletzen wollte.
„Ich will weder mit Schuld noch mit Angst im Nacken leben.“ Mit sanfter Stimme spielte sie ihre beste Karte aus. „Ich will mit dir leben.“
Samuel schoss hoch, tigerte einige Schritte im Raum auf und ab und schüttelte den Kopf. Seine Gesten waren nicht mehr verneinend,sondern nur mehr verständnislos.
„Glaubst du denn“, setzte sie nach, „dass er mich je in Ruhe lassen wird? Nein. Er will mich, ebenso wie du mich willst. Weil du mich willst. Du kannst nichts dagegen tun. Und noch weniger dagegen, dass ich an deiner Seite kämpfen will.“
Er erwiderte ihren Blick fest und lange. Zu ihrem Erstaunen lächelte er nach einer stummen Ewigkeit. „Bei Gott, du machst mich fertig, Frau. Besteht irgendeine Aussicht, dich davon abzuhalten, dein Leben für mich zu riskieren?“
„Nein.“ Das war untertrieben. „Nicht die Geringste. Ich habe in meinem Leben schon viele merkwürdige Dinge aus Überzeugung getan. Nichts davon war mir je so wichtig.“
„Ich verstehe dich nicht. Ich will dich gar nicht verstehen.“
„Du bist es mir …“, sie hielt inne. Nein, das war es nicht. „Du bist es wert.“
Ein angespanntes Vibrieren durchfloss Samuels Körper. Dann ging er zur Tür.
„Wo willst du hin?“
Er wandte sich um und zog einen Mundwinkel zu einem bitteren Lächeln hoch. „Meine Sachen holen. Oder glaubst du, ich wäre wehrund waffenlos? Du hast soeben einen Krieg erklärt. Mir kam zu Ohren, die Zeit der Faustkämpfe sei inzwischen vorbei.“
Samuel kam nach einigen Minuten vom Dachboden zurück und Helena begriff augenblicklich, was er gemeint hatte. Er trug ein Lederhalfter locker um die Brust. In seiner Hand lag ein zur Spitze hin schmal zulaufendes Breitschwert von einem knappen Meter Länge. Er fuhr die mit einer kunstvollen Rankengravur verzierte Blutrinne mit den Fingern nach, pustete Staub in die Luft und kontrollierte die Schärfe der Klinge mit dem Daumen. Zufrieden nickte er. Der Stahl reflektierte das Licht der Wohnzimmerlampe und spiegelte einen Moment einen Teil von Helenas erstauntem Gesicht wider.
„Ein Schiavona“, erklärte Samuel mit einer Selbstverständlichkeit, als handele es sich um einen Akku-Schrauber. „Ein leichtes, schnell zu bewegendes Breitschwert aus Italien. Ursprünglich nutzte man diese Waffe im 17. Jahrhundert. Dies hier ist allerdings eine Reproduktion. Es ist exakter verarbeitet, als man es zu damaligen Zeiten vermochte. Ich hatte einige Originale in der Hand, das für mich passendste habe ich nachbauen lassen, vom besten Schwertschmied, den ich in mehreren Jahrzehnten auftreiben konnte.“
„Oh“, entfuhr es ihr. „Mit so was kämpft man also gegen Drachen?“
„Ehrlich gesagt, ich habe nicht die geringste Ahnung, womit man gegen Drachen kämpft.“
Er zog mit der freien Hand sein Hemd hoch. An seiner linken Hüfte hing ein gekrümmter Dolch in einer ledernen Scheide am Gürtel. Rechts klemmte ein Revolver mit Holzgriff im Hosenbund.
„Aber du bist vorbereitet“, stellte Helena fest, und entlockte ihm ein Lächeln, welches eine Kampflust verriet, die ihrer Meinung nach wirklich besser unausgesprochen blieb. Mit dieser Waffe in der Hand erkannte sie ihn kaum wieder.
„Oh ja. Schon sehr, sehr lange.“
„Kannst du überhaupt damit umgehen?“
„Nein.“ Seine Stimme war trocken, doch aus dem kurzen Blick, der er ihr zuwarf, sprach eine Idee von gekränktem Stolz, überdeckt von jeder Menge Spott. „Ich brauchte die letzten hundert Jahre, um mein Klavierspiel zu perfektionieren.“
Er hob die Klinge und ließ sie in einer weit ausholenden Bewegung herumwirbeln, imitierte harte, schnelle Vorstöße und schwang das Schwert sodann wieder kreisförmig um seinen Körper, nur Millimeter an
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