Benkau Jennifer
sie seine Enttäuschung nicht sehen zu lassen. Er hätte sie gern ein letztes Mal geküsst, ehe es ernst wurde. Doch die letzte Chance dazu war hiermit vertan. Sie ahnte nicht, dass der Fluch mit seinem Tod enden sollte, und er konnte es ihr nicht sagen, weil sie den Dämon in diesem Fall niemals rufen würde. Schweigend wartete er die Zeit ab. Das Schwert hing im Gehenk und der Revolver, ein durchschlagstarker Korth Combat, 357 Magnum, drückte ihm beruhigend gegen die Hüfte.
Helena stellte Teelichter an den Spitzen ihres Signums auf, doch auch im Schutz der Bäume bekam sie diese durch die Feuchtigkeit und den Wind nicht angezündet. Sie fluchte leise. Unter der Kapuze ihrer Jacke lag ihr Gesicht im Schatten, leuchtete nur bei wenigen Bewegungen bleich hervor, wie der Mond durch die Wolken. Sie kam ihm auch genau so weit entfernt vor. Aber sie würde sicher sein, nur das war von Bedeutung. Die Zeit lief ohne ein mitfühlendes Verharren weiter, trennte sie immer weiter von ihm.
„Wenn das hier vorbei ist“, begann er, ihren Blick suchend, „dann werden wir beide Urlaub nehmen. Wir werden die Nächte durchfeiern und die Tage verschlafen. Du musst mir alle Clubs, das Theater und jede Bar der Stadt zeigen.“ Es war kein Ausmalen von Zukunftsvisionen. Nur Traumtänzerei.
Ihre Mundwinkel zuckten nach oben. „Wirst du dich endlich mal betrinken?“
„Darauf kannst du wetten. Und ich werde mit dir auf diesen Mittelalter-Partys tanzen, bis unsere Sohlen glühen.“
„Vielleicht sollten wir gemeinsam verreisen.“ Sie sah in den Regen hinauf und ließ sich die Tropfen über das Gesicht rinnen. „Wir könnten irgendwo hinfahren, wo wir beide noch nicht waren. Vielleicht zum Grand Canyon.“
„Ich wollte immer schon mal von der Golden Gate Bridge spucken“, meinte er und Helena prustete.
Dann sah sie ihm lange in die Augen. In ihrem Blick stand tiefe Sehnsucht. „Ich kann gerade nicht das tun, was ich gerne tun möchte. Aber“, ihre Stimme stieg um eine Oktave an, „fühl dich geküsst, Samuel.“
Er gehorchte, schloss die Augen und gab sich der Vorstellung hin, ihre Lippen auf seinen zu spüren. „Helena? Fühl dich geliebt.“
„Es ist so weit“, flüsterte sie, als die letzte Minute der zehnten Stunde anbrach. Samuel trat ein paar Meter zurück. Sollte es misslingen, würde ihn hier im Wald sicherlich ein umstürzender Baum erledigen. Moira machte es sich meist einfach. In dem Fall wollte er Abstand zwischen sich und Helena wissen.
Sie saß im Schneidersitz, die Hände auf den Knien, und sprach vor sich hin. Die Worte verstand er nicht länger, obwohl ihre Stimme, die leise und bebend begonnen hatte, nun kräftiger wurde. Entschlossen.
Samuel bannte den Sekundenzeiger in seinem Blick und lauschte ihrem Singsang. Im Gebüsch knisterte ein Tier, in den Kronen der Bäume schwatzte der Wind. Regentropfen liefen ihm aus dem Haar übers Gesicht, und er fühlte sich an die Nacht erinnert, als er Helena auf der Brücke zum ersten Mal begegnet war. Sie hatte ihre warme, vor Nervosität feuchtgeschwitzte Hand auf seinen Arm gelegt. Er sehnte sich nach dieser Berührung, die damals die ihm vertraute Welt zerrissen hatte. Nun drohte die Erde wieder aufzureißen und ihn tiefer fallen zu lassen, als nur in einen weiteren Tod. Er legte die Hand an den Schwertgriff, schloss die Finger darum.
Aus Richtung des Forstweges hörte er einen Automotor, schrak auf, sagte sich jedoch, dass sicher nur der Förster auf dem Heimweg war. Das Geräusch entfernte sich.
Die letzte Sekunde verstrich.
Plötzlich erstarben die Standlichter des Wagens, gleichzeitig schrie Helena schrill auf, sackte nach vorn und fiel mit dem Gesicht voran zu Boden. Samuels Magen zog sich schlagartig zu einem steinharten Klumpen zusammen. Den Bruchteil einer Sekunde brauchte er, um zu begreifen, dass er weder gestorben war noch hilflos mit ansehen musste, was geschah.
Es war zehn Uhr — und er lebte!
Er rannte zu ihr. Mühsam rappelte sie sich auf und gestikulierte ihm wild.
„Komm nicht näher, bleib zurück!“
Er gehorchte und verharrte widerwillig. Für kurze Zeit war es vollkommen still, bis auf Helenas angestrengtes Keuchen, mit dem sie gegen Schmerzen anzukämpfen schien. Kein Tier gab einen Laut von sich, doch in den Bäumen erhob und senkte sich ein Rauschen. Samuel rief Helenas Namen, doch sie japste nur:
„Bleib … bei allen Mächten … zurück!“
Das Schwert in der rechten Hand, den Revolver in der linken, drehte er sich
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