Benkau Jennifer
sich mitgerissen von dem euphorischen Wirbel. Sie lachte Steffi zu und tanzte so ausgelassen, wie das bisschen Platz es zuließ. Sie wurde angerempelt und rempelte selbst ohne Absicht und Entschuldigung. Bei einer fremden Frau hakte sie sich unter und drehte sich mit ihr im Kreis. Irgendwo vor ihr stolperte jemand und plumpste auf den von vielen Füßenaufgerissenen Boden. Umstehende lachten ihn aus, zogen ihn wieder hoch und man tanzte gemeinsam weiter, als wäre nichts gewesen. Aus dem Kelch eines Mannes neben ihr schwappte ein scharf riechendes Getränk auf Helenas Schulter. Egal. Auf der Bühne erschienen zwei weitere Männer und eine Frau. Sie legten Worte in die Musik, teils gesungen vorgetragen oder auch gebrüllt. Mikrofone hatten sie nicht nötig. Gemeinsam mit den Instrumenten erzählten sie von melancholischen Liebeleien, im nächsten Moment wieder von martialischen Schlachten, großen Kriegern und unterdrückten Völkern. Ihre Darbietung, irgendetwas zwischen Theater, spontanem Spiel und Gesang, gab dem Publikum den letzten Zunder, den es brauchte, um vollkommen auszurasten. Die Tanzenden verloren jede Zurückhaltung und die Menge breitete sich aus, sodass dem Einzelnen mehr Platz blieb. Die Wiese war nur noch ein platt getretener Acker, Schlamm spitzte unter den Sohlen.
Steffi rief etwas Unverständliches, doch Helena konnte nur breit zurück grinsen. Ihre Wangen fühlten sich erhitzt an. Begeistert stampfte sie zum Takt, schlenkerte mit den Armen und warf den Kopf herum. Sie klatschte mit anderen unterstützend zur Musik und drehte sich im Kreis. Nachdem sich die Lieder langsam zu wiederholen begannen, sang sie die Texte mit. An diesem Ort gab es keine verschämte Zurückhaltung. Dies war nicht das Zeitalter von Peinlichkeiten. Hier ging es einzig und allein um die Freude, sich zu bewegen. Eine Freude, die in jeder Ader zu prickeln schien und sie berauschte, wie ein Glas Alkohol zu viel. Jeder lebte diese aus, selbst die alte Bettlerin sprang ausgelassen herum. Ein Mann mit einem albernen Robin-von-Sherwood-Hut verbeugte sich im Tanz vor Helena. Sie griff nach ihrem Rock, knickste und wirbelte in der gleichen Bewegung herum.
Und dann sah sie ihn zum ersten Mal.
Er ging abseits der Feiernden und durchmaß die Menge mit kühlem Blick. Etwas an ihm war anders, obwohl auch er authentisch gekleidet war. Trotzdem gehörte er nicht dazu. Im Gegensatz zu allen anderen folgten seine Schritte nicht dem dröhnenden Takt der Trommeln. Es war, als galt die Echtzeit nicht für ihn, als bewege er sich in Zeitlupe. Nein, eher als existierte er in einem anderen Raum-Zeit-Kontinuum und war nur als Trugbild in dieser Welt zu Besuch. Helena drängte sich der Eindruck auf, ihn schon einmal gesehen zu haben. So fremd er ihr erschien, aber sie glaubte fast, ihn zu kennen. Das Gefühl glich einem Déjà-vu. Sie verlor den Rhythmus, fand nicht zurück in den Tanz. Sich umwendend, orientierte sie sich an einer anderen Frau, doch ihr Körper schien die Musik nicht mehr zu hören. Steifbeinig bewegte sie sich, suchte nach dem Takt, doch er war verloren. Von Steffi war nichts zu sehen. Ein Kerl wie ein Schrank stieß Helena von der Seite an, sie strauchelte und wäre fast gefallen. Frustriert bahnte sie sich einen Weg aus der Menge und blieb am Rand stehen. Sie brauchte eine Pause.
Durchatmend beobachtete sie die Tanzenden und die Musiker. Auf der Bühne waren nun nur noch die Sänger, die Frau mit der Harfe und die Männer mit den E-Gitarren. Jeder, der sein Instrument tragen konnte, hatte sich unters Publikum gemischt. Die Lieder wurden zu wilden Kakophonien, weil kein Ton mehr auf den anderen abgestimmt war. Einer der Gitarristen begann, sich auf der Bühne auszuziehen, die Trommler droschen vom Bühnenrand auf ihre Instrumente ein, um ihm einzuheizen.
Der Zauber verflog, zurück blieb nur Krach. Die Feiernden schienen das nicht wahrzunehmen. Auf der Suche nach Steffi sah Helena sich um.
Erneut erblickte sie den fremden Mann, diesmal auf der anderen Seite der Menge. Kaum hatte sie ihn gesehen, da verdeckten schon wieder Personen die Sicht. Mit Erstaunen wurde ihr bewusst, dass sie genau dort stand, wo sie ihn zuerst wahrgenommen hatte. Sie verfolgte im Tempo seiner Schritte die Linie, die er vermutlich ging.
Ob er wirklich da war? So deplatziert, wie er wirkte, könnte er auch ein Geist sein. Sie reckte neugierig den Hals. Blitzte da nicht sein Gesicht zwischen vielen Köpfen hervor?
Plötzlich schloss sich ein harter
Weitere Kostenlose Bücher