Benkau Jennifer
sprachen die roten Zahlen eine eindeutige Sprache. Die Schulden wuchsen mit jedem Auszug, und das über Monate. Helena schob den Ordner zurück an seinen Platz. Sie fühlte sich wie von kaltem Wasser übergossen. Bankrott. Wenn es so weiterlief, würde das Notenhaus binnen einiger Zeit zumachen müssen. Autsch.
In Sorgen versunken schlurfte sie die Treppen hinab. Das sonst so gemütliche Knarren der Holzstufen ließ ihr diese mit einem Mal marode vorkommen. Cat winselte und wedelte unsicher mit dem Schwanz. Einen neuen Job zu finden, würde sich nicht als schwierig herausstellen. Doch was sollte sie mit ihrem Hund machen, wenn sie den ganzen Tag in einem Büro sitzen musste? Cat blieb problemlos einige Stunden alleine, aber sicher würde sie die Hündin keinen ganzen Tag sich selbst überlassen. Noch trübsinniger waren die Gedanken, die sich um Toni drehten. Der Laden war sein Ein und Alles, sein wahr gewordener Kindheitstraum. Damit zu scheitern, würde dem quirligen Italiener das Herz brechen.
Eine ungute Ahnung mogelte sich durch ihre Grübeleien. Der Verdacht, dass er krumme Dinger drehte.
Aber nein, das konnte nicht sein. Toni handelte mit Musikinstrumenten, nicht mit Waffen oder verbotenen Rauschmitteln. Blockflöten und Gitarren waren sicherlich nichts, womit sich auf dem Schwarzmarkt Geld verdienen ließ. Allenfalls die antiken Instrumentehätten ein gewisses Potenzial. Sie waren teilweise sehr wertvoll. Vielleicht gab es die Möglichkeit der Fälschung. Womöglich Kunstraub, oder – ein dicker Kloß wuchs in ihrer Kehle an – die zumeist hohlen Instrumente waren nur deshalb so teuer, weil sie mit Drogen gefüllt waren. Jetzt gingen ihr aber die Pferde durch. Ihr Chef war ein Chaot, eine Klatschbase und ein herzensguter Mensch. Mit Sicherheit jedoch kein Dealer.
„Schluss damit“, sagte sie scharf. Cat zog den Kopf ein, als hätte sie mit ihr geschimpft. Helena klopfte entschuldigend das Fell ihrer Vierbeinerin und verließ mit ihr das Notenhaus.
Es musste am Schlafentzug liegen, dass sie in der letzten Zeit Gespenster sah. Ihr Häuschen, das sie so gern hatte, ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Der verdammte Wald rings um die alten Mauern hatte Augen. Und alle starrten sie durch die Fenster. Das Säuseln des Windes in den Bäumen ging ihr seit Tagen an die Nerven. Käuzchen und Füchse weckten sie ständig mit ihren Rufen, wenn sie gerade erst eingeschlafen war. Seltsam, denn früher hatte sie die Geräusche der Natur geliebt und genossen, ganz sicher aber nicht als bedrohlich empfunden. Nun, früher hatte sie auch nie allein gewohnt.
Der Entschluss war die eine Sache gewesen und sehr leicht gefallen. Die Überwindung, ihn in die Tat umzusetzen, war eine völlig andere Geschichte und gelang ihm erst am Donnerstagabend.
Samuel hatte natürlich wenig Zeit. Viel zu wenig. Einen Trödelmarkt musste er nach Perlen im Mist absuchen. Ein paar Kunstzeitschriften wollten gelesen, sowie die Kleinanzeigen nach preiswerten Antiquitäten – weiteren Perlen im Mist – durchgesehen werden. Ein Großmütterchen rief an, um ein paar erlesene Stücke anzubieten. Oder das, was sie für erlesen hielt.
Für eine Woche jede Menge Arbeit. Nicht zu vergessen, die lästige Notwendigkeit, sich hin und wieder eine Kugel in den Kopf zu jagen, um nicht versehentlich eine Naturkatastrophe auszulösen, die sein Ableben sicherstellen würde. Samuel war schwer beschäftigt. Da blieb kaum eine freie Minute, um einer hübschen Rothaarigen in der Nähe ihrer Arbeitsstelle aufzulauern.
Oh, er war ein solcher Idiot.
Als sie samt ihrem Ungetüm von Hund um die Ecke bog, stieß er sich von der Wand ab und ging ihr entgegen. Erstaunen stand ihr im Gesicht geschrieben, verwischte zu Skepsis.
„Hallo.“ Er zwang sich zu einem Lächeln und fühlte sich, als hätte er einen Stock im Hintern, der aus dem Rachen wieder raussticht. „So ein Zufall, dass wir uns treffen.“
Sie ergriff seine Hand zögernd, erwiderte dann jedoch das Lächeln. „Ja, das ist wirklich ein Zufall. Freut mich. Was machst du … Verzeihung, was machen Sie hier in der Gegend?“
Stalking, oder nach was sieht es sonst aus?
Der verdammte Hund ahnte, dass etwas nicht stimmte. Das Tier starrte mit viel zu offensichtlicher Gleichgültigkeit an ihm vorbei.
„Samuel“, presste er hervor.
Die Frau zog beide Brauen hoch und ihre Hand zurück. „Bitte?“
„Das Du ist mir recht, und ich heiße Samuel.“ Machte er sich zum Affen? Höchstwahrscheinlich.
„Ah.
Weitere Kostenlose Bücher