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Benkau Jennifer

Benkau Jennifer

Titel: Benkau Jennifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phoenixfluch
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würde auch sein Leben enden. Ein Tod – der endgültige – um die tausend sinnlosen zu verhindern, die ihn ansonsten erwarteten. Gerade zu der Zeit, als er zum ersten Mal und um jeden Preis der Welt leben wollte. So einfach war das. Einfach und grausam. Es schockierte ihn kaum noch, es passte zu gut zu Moira.
    „Danke, Lady Claire.“ Er ließ die Hand eine Weile auf ihrem ausgemergelten Arm liegen. „Vielen Dank.“
    Die alte Frau kniff die Augen zusammen. „Du wirst es doch tun, Samuel? Du willst doch deinen Frieden finden, nicht wahr?“
    „Möglicherweise habe ich das schon.“
    „Die Zeit ist nicht unsere“, sagte die Lady kopfschüttelnd. „Sie ist so kalt, so schnell und laut, und längst nicht mehr ein Platz für dich und mich. Alter schafft Distanz und Weisheit macht uns einsam. Wir müssen gehen, Samuel, wir gehören hier nicht her. Alles ist anders geworden als es war.“
    Anders, aber bedeutete das, schlechter? „Ich fürchte, weise bin ich nie geworden, Lady Claire.“
    Er fragte sich, was Weisheit war. Ein Zusammenspiel aus Erfahrungen und den daraus gezogenen Rückschlüssen. Doch da fehlteetwas, Weisheit erforderte noch Weiteres. Etwas, das Samuel weder benennen konnte noch besaß. Nie besessen hatte. War er überhaupt jemals älter geworden?
    „Unser beider Schicksale“, fuhr sie fort, als hätte er nichts gesagt, „sind verbunden, my dear. Ich sehne mich danach, zu gehen, schon lange. Moira versprach mir ein Geschenk für die Erfüllung meiner Aufgabe. Ich bin gespannt, was es wird sein.“
    „Sie vertrauen Moira?“
    „Wir leben einfach schon zu lange.“
    „Tatsächlich?“ Wie eigenartig, dass er dieser Aussage vor ein paar Tagen noch vorbehaltlos zugestimmt hätte. „Wie würden Sie ‚Leben‘ definieren?“
    „Vielleicht ich sehe meinen Mann wieder, wer weiß.“
    Das Gespräch war beendet, Lady Claire ignorierte seine Fragen und verfiel in einen verträumten Monolog, als wäre Samuel nicht mehr anwesend.
    Als er die Tür zum Flur öffnete, bot sich ihm ein seltsamer Anblick. Helenas Schuhe lagen mitten im Flur. Sie selbst balancierte auf den Zehenspitzen auf der Armlehne eines an die Wand geschobenen Polstersessels, die Nase fast an das darüberhängende Ölgemälde gedrückt, die Augen schmal vor Konzentration. Dicht neben ihr stand die Haushälterin und fuchtelte in Gesten der Überforderung mit den Händen in der Luft.
    „Weg da, Hexe!“, kreischte Lady Claire plötzlich und hinkte mit überraschend schnellen Schritten auf Helena zu.
    Diese warf der Lady einen erschrockenen Blick zu, schrie auf und verlor das Gleichgewicht. Für einen Moment sah es aus, als könne sie sich fangen, dann fiel sie doch und landete auf dem Hinterteil. Die Situation hatte etwas Skurriles. Wenn Helenas Augen nicht angstvoll aufgerissen gewesen wären, als hätte sie soeben einen Geist gesehen, hätte Samuel lachen müssen.
    „Back off!“, fauchte Lady Claire erbost. „Hexenweib! How dare you!“
    Die Haushälterin legte den Arm um die völlig aufgelöste alte Dame, die sich in Schimpftiraden auf Deutsch und Englisch verlor, und führte sie zurück in ihre Wohnstube. Helena packte, Entschuldigungen stammelnd, ihre Schuhe an den Schnürsenkeln und stürmte auf Strümpfen zur Haustür hinaus. Samuel wollte ihr folgen, wurde von der zurückkehrenden Haushälterin jedoch aufgehalten.
    „Sie müssen das verstehen“, flüsterte sie. „Lady Claire ist sehr sensibel, was diese alten Bilder betrifft. Sie sind von irgendeinem Vorfahren, der ihr viel bedeutet hat. Seit man vor einigen Wochen diese alte Tröte gestohlen hat, regt sie sich schrecklich schnell auf.“
    Samuel betrachtete das Bild, welches Helena so neugierig gemacht hatte. Es zeigte einen Reiter in Jagdkleidung vor dem Hintergrund eines Sees, in dem sich die Wolken spiegelten. Über der Schulter des jungen Mannes hing ein Parforcehorn. Samuel erkannte das Bild aus dem Notizbuch, in dem eine Bleistiftversion ebendieses Gemäldes festgehalten war. Auch von dem Horn existierte eine vergrößerte Skizze in diesem Buch.
    „Was wurde gestohlen, sagten Sie?“
    „Ein Musikinstrument, eine Tuba oder Trompete. Ich verstehe davon nichts.“
    „War es ein Horn?“
    „Ja, ist das nicht unmöglich?“, echauffierte sich die Haushälterin. „Es wurde in Berlin von einer Ausstellung entwendet. Lady Claire hatte es den Veranstaltern geliehen, obwohl sie so sehr an dem alten Ding hing. Es handelte sich um ein Erbstück, müssen Sie wissen.

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