Benkau Jennifer
Tonis Laden am Verkauf dieses Stückes hängt, ist es vielleicht das kleinere Übel, wenn wir die ganze Sache vergessen.“
Helena starrte ihn mit einer Entrüstung an, die sich wie eine heiße Ohrfeige anfühlte.
„Geht’s noch? Es ist ihr Erinnerungsstück an ihren Mann! Ob Wiedergänger, Dämon, Schädelgesicht oder harmlose Omi, ich werde sicher nicht zulassen, dass Toni ihr Erbstück verschachert. Sie bekommt es zurück, das schwöre ich dir.“
Er sah sie an und sie verengte skeptisch die Augen, umso länger er sie betrachtete.
„Was gibt es da zu grinsen, Samuel?“
„Nichts“, gab er harmlos zurück. „Mir wird nur gerade klar, was ich so an dir liebe.“
Daraufhin sagte sie nichts, schob nur die Unterlippe vor. Ein Hauch Röte flog auf ihre Wangen. Dann schrak sie plötzlich mit einem kleinen Satz auf.
„Aber das Wichtigste hast du mir ja noch gar nicht erzählt. Wenn sie eine Wiedergängerin ist, dann weiß sie doch mehr, oder? Hast du neue Hinweise?“
„Nein.“
Sanft strich er Helena eine verirrte, rote Strähne aus der Stirn und ließ ihre Haare ganz langsam durch seine Finger gleiten. Schönes Leben noch, Moira, sprach er in Gedanken. Spiel allein weiter, ich steige an dieser Stelle aus.
19
Die Wahrheit kann auch eine Keule sein, mit der man andere erschlägt .
Anatole France
H elena war nervös, und sosehr Samuel sich bemühte, es gelang ihm nicht, sie zu beruhigen. Den ganzen Tag über hatte sie versucht Toni anzurufen. Aber bei ihm zu Hause erreichte sie gegen Nachmittag nur seine Mutter, die die Katzen fütterte und ihr mitteilte, Toni würde erst am späten Abend heimkommen. So musste das Gespräch über das mysteriöse Horn bis zum nächsten Tag warten.
Im Laufe des Tages nahm Helenas Unruhe weiter zu. Sie war unkonzentriert und abwesend, doch sie wollte Samuel nicht verraten, woran es lag. Er hörte lediglich heraus, dass sie sich in ihrem Haus nicht wohlfühlte, was er gut verstehen konnte. Welche junge Frau lebte schon freiwillig mitten im Wald? Zumal sie gerade einem wandelnden Skelett begegnet war. Für die nächste Nacht quartierte er sie kurzerhand auf seinem Sofa ein.
Als es an diesem Abend Zeit für ihn wurde, drehte Helena eine kurze Runde mit ihrem Hund. Samuel ging ins Bad. Zum ersten Mal trat er der Versuchung der Nacht gelassen und furchtlos entgegen. Es war nicht länger eine Geißel für ihn. Es war nun der Preis, den er zu zahlen hatte, um bei ihr zu sein. Und, bei Gott, er zahlte ihn gern.
Die Regeneration am nächsten Morgen zog sich erbarmungslos in die Länge. Das war nie anders, aber heute versuchte Samuel, den Vorgang zu beschleunigen, was die Qualen zu verstärken schien. Katatonisch krampfte sein Körper zusammen, stieß die Knochen während des Heilungsprozesses krachend gegen die Keramik der Wanne. Kopfschmerzen aus gleißendem Weiß blendeten ihn, ließen ihn kaum auf die Beine kommen. Er taumelte benommen in den Flur und riss das Fenster auf, um seine Lungen mit der Frische des dunklen Morgens zu füllen. Selbst feuchtkalte Novemberluft konnte die Illusion von Asche in seinem Mund kaum vertreiben. Sein Blick war noch verschwommen, doch undeutlich machte er Linien auf dem Fensterglas aus. Er kniff die Augen zusammen und erschrak. Das Fenster, die Tapete, die Tür; alles war mit okkulten Symbolen beschmiert. Kugelschreiber war benutzt worden, Lippenstift, und einige Pentagramme erschienen ihm, als wären sie mit Blut gemalt.
„Helena?“
Aus dem Wohnzimmer ertönten die Geräusche von Radio und Fernseher gleichzeitig, darunter ein Schluchzen. Er stürzte hinein und sah sie zusammengekauert auf dem Sofa hocken, ihren Hund dicht an sich gepresst. Sie starrte ihn an. Nein, sie starrte durch ihn hindurch. Ihr Gesicht war blutverschmiert. Sein Körper reagierte, ehe sein Verstand auch nur ansatzweise eine Logik in das Bild gebracht hatte. Im nächsten Moment kniete er vor ihr, ihr Gesicht vorsichtig zwischen seinen Händen haltend.
„Oh Gott, Helena, was ist passiert? Du bist verletzt. Wo?“
„Dieser Junge“, wisperte sie. „Sven. Sie haben ihn gefunden. Er ist tot.“
Ihr Blick huschte Richtung Radio und sie zitterte wie Espenlaub. Er wusste nicht, wo er sie berühren sollte, um sie zu halten, ohne ihr wehzutun. Tränenspuren zogen sich über ihre blutbesudelten Wangen, doch er konnte keine Wunden erkennen.
„Ich dachte, es wäre ein Geist. Ich dachte, es läge an meinem Haus. Aber das ist es nicht, Samuel, das ist es nicht. Er war hier.
Weitere Kostenlose Bücher