Benkau Jennifer
an diesem Tag nichts gegessen, aber ihr Magen erschien derart schwer, dass sie auch nichts runter bekommen würde. Als das Telefon läutete — ein schriller Ton, der ihr bis ins Mark fuhr — ließ sie fast den mit siedendem Wasser gefüllten Wasserkocher fallen.
„Hallo?“, japste sie in den Hörer. „Hier bei Evelyn Schaumann.“
„Helena, bist du das?“
Verwundert erkannte sie Tonis Stimme. „Ja, ich bin’s. Was gibt es denn, dass du so spät hier anrufst?“
Toni gab ein Schnauben von sich. „Ich habe nicht die geringste Ahnung. Eben rief ich deinen Freund Samuel an, um die Sache mit dem Geld aus der Welt zu schaffen. Ich fürchte, ich habe mich vollkommen danebenbenommen, Helena. Ihr hattet ja recht, dass das Horn an seinen Besitzer zurückgegeben werden muss. Meine Güte, ich werde noch zum Mafiosi in der Sorge um mein Geschäft.“
Er räusperte sich verlegen. Der gute alte Toni. Er war doch kein schlechter Kerl.
„Aber darum soll es jetzt nicht gehen“, fuhr er fort und seine Stimme nahm einen nervösen Ton an. „Bei dem Gespräch sagte ich Samuel, dass du für ein paar Tage zu deiner Cousine nach Marburg gefahren bist und …“
„Au Scheiße!“
„So ähnlich drückte er das auch aus. Helena, was geht da vor? Er wurde regelrecht panisch und meinte, ich müsse dich sofort anrufen und warnen. Wovor warnen, fragte ich, und er sagte: ‚Davor, dass ich Bescheid weiß.‘ Helena, was ist da zwischen euch? Hast du Probleme mit Samuel? Stimmt da etwas nicht?“
Sie zitterte, aber ihre Stimme blieb fest, als sie antwortete: „Irgendwie stimmt hier gerade gar nichts, Toni, aber ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich es dir erklären sollte. Entschuldige mich, ich muss los.“
Sie wartete keine Erwiderung ab, drückte das Gespräch weg und wählte Evelyns Handynummer.
„Der Dämon weiß wo ich bin“, sagte sie kühl. „Er wird schon auf dem Weg hierher sein. Bleib bei deinen Eltern, komm auf keinen Fall diese Nacht in deine Wohnung zurück. Wir treffen uns morgen früh, ich ruf dich an.“
Auch dieses Telefonat beendete Helena, ehe Evelyn antworten konnte. Dann schnappte sie ihre Tasche, ihre Jacke sowie die Hundeleine und pfiff nach Cat, um keine zwei Minuten später mit quietschenden Reifen zu fliehen.
21
I did not believe because I could not see.
Though you came to me in the night .
Loreena MacKennitt, Dante’s Prayer
Z iellos raste sie über Landstraßen und Autobahnen, drehte immer wieder das Fenster runter, damit der eisige Fahrtwind die Müdigkeit vertrieb, die nach der schlaflosen Nacht und dem Tag voller Schrecken fordernder nach ihr griff. Helena wagte nicht, irgendwo zu übernachten. Er suchte nach ihr, und in immerwährender Bewegung zu bleiben, erhöhte ihre Chancen, dass er sie nicht finden würde. Ihr Auto war unsicher, das wusste sie, denn er kannte sowohl Marke, als auch die auffällige Farbe und das Nummernschild. Doch bei dem Gedanken, es stehen zu lassen und eine Bahn zu nehmen, fühlte sie sich noch schutzloser. Außerdem durfte sie sich nicht zu weit von Marburg entfernen, denn am Morgen musste sie zurück zu Evelyn, um das Buch zu holen.
Sie versuchte, nicht an Samuel zu denken, als könne allein ihre Sehnsucht nach ihm eine Fährte für den Dämon darstellen.
Kurz nach zwei Uhr morgens hielt sie an einer Tankstelle an, da das Benzin knapp wurde.
„Vierzig Euro zwanzig.“ Der Kassierer mit ungepflegtem Bürstenschnitt gähnte so herzhaft, dass es Helena schwerfiel, dies nicht zu erwidern. „Darf es sonst noch was sein?“
Sie zog einen 50-Euro-Schein aus dem Portemonnaie und legte ihn auf die Theke. „Einen Latte macchiato, bitte. Einen großen. Viel Zucker.“
Der Mann schlurfte zum Kaffeeautomaten, stellte einen Becher unter und drückte einen Knopf. Fauchend spuckte die Maschine Espresso aus. Kurz darauf fluchte der Tankwart.
„Milch ist leer“, murmelte er in seinen Bart. „Ich hol rasch neue aus’m Lager, bin gleich zurück.“ Er stellte den Becher, zu einem Drittel mit Kaffee gefüllt, auf die Theke. „Wenn Sie Espresso mögen, nur zu. Geht aufs Haus.“
Helena bedankte sich knapp, pustete in den Becher und ließ ihn vorerst stehen, da der Inhalt noch zu heiß war. Ohne Interesse blätterte sie in einer der ausliegenden Frauenzeitschriften. Sie sah auf, als in ihrem Rücken die gläserne Schiebetür aufglitt und jemand eintrat. In dem Moment, als sie Georg erkannte, musste sie einen Schrei unterdrücken. Ihr Herz begann zu rasen
Weitere Kostenlose Bücher