Benkau Jennifer
dies nicht heißen muss, dass es sich um die richtige Entscheidung handelt?“
„Es ist wie in der Liebe selbst“, antwortete Evelyn. „Man weiß erst, dass es der richtige Mann war, wenn man stirbt und bis dahin keinen besseren gefunden hat. Aber lass uns weitersehen. Hier haben wir den Mond als deine gegenwärtige Situation.“ Sie runzelte die Stirn. „Die Karte gefällt mir in dem Zusammenhang nicht. Auch sie spricht von Zweifeln, aber auch von Intrigen und Lüge. Im Mondschein ist nichts, wie es scheint.“
Helena entfuhr ein trockenes Lachen. „Bei Tag noch weniger, glaub mir.“
„Die Zukunftskarte“, fuhr Evelyn fort, „ist der Tod.“
„Was auch sonst.“ Helena stöhnte.
„Ein Neuanfang“, beruhigte ihre Cousine sie, doch das wusste Helena selbst.
Trotzdem war es immer wieder eine erschreckende Karte, auch wenn sie keine negative oder gar letale Bedeutung haben musste. Die Müdigkeit, die wie eine in die Vene injizierte Droge durch ihren Körper kroch, verstärkte die Unbehaglichkeit, die das Tarot-Blatt weckte.
Evelyn blickte überlegend in die Luft. „Die Quintessenz deiner Karten ist die Zehn - das Rad des Schicksals, die ich in deinem Falle so interpretiere, dass alles aus einem Grund geschieht und nichts umsonst ist.“
Helena wollte das Blatt zusammenlegen, um es nicht länger ansehen zu müssen, doch Evelyn klapste ihr auf die Finger.
„Hände weg! Das sind meine Karten, ich mag es nicht, wenn jemand anders sie berührt.“ Sie schlang das mit fremdartigen Symbolen bunt bemalte Seidentuch wieder sorgfältig um den Stapel und fragte: „Was denkst du darüber?“
Um ehrlich zu sein, dachte Helena nicht viel. Doch der Druck hatte nachgelassen, als hätte die sie umgebende Membran einen dünnen Riss bekommen. „Deine Patience klingt ausnahmsweise recht eindeutig, auch wenn ich gehofft hätte, dass die Karten mir ein süßklebriges Happy End versprochen hätten.“
„Du wirst also einen Dämon beschwören.“ Evelyn seufzte, ohne Helenas Bestätigung abzuwarten. Sie vertraute ihrem Tarot und ebenso vertraute sie Helenas Mut — viel mehr, als Helena es tat. „Da kommt ja etwas auf uns zu.“
Helena sah auf die Uhr. Halb zehn. Samuels Tor zur Hölle stand vermutlich bereits geöffnet und verlangte nach ihm. In diesem Moment wollte sie nichts so sehr, wie in seiner Nähe zu sein und ihm beizustehen. Und im tiefsten Inneren ihrer Seele wusste sie, dass ebendies ihre Aufgabe war, ihre Bestimmung. Wie erbärmlich sie sich plötzlich fühlte, ihn allein gelassen zu haben. Es war falsch gewesen, warum hatte sie es in ihrer Angst nicht erkannt? Sie hastete zum Telefon und wählte seine Nummer, während Evelyn ihr gewaltiges Bücherregal durchkramte, jede Menge Staub aufwirbelte, aber offenbar nicht fand, wonach sie suchte. Samuel ging nicht ran, so sehr Helena ihn in Gedanken beschwor.
Während in Helena noch jeder hilfreiche Gedanke in einer dichten Wolke aus wattiger Erschöpfung ziellos umhertrieb, waren Evelyns Handlungen zielgerichtet und effizient.
„Hör zu“, wies sie Helena verschwörerisch an und drehte ihre Trance-Musik lauter, als befürchtete sie Lauscher an der Tür. „Ich besitze ein Buch. Es handelt sich um die Annalen der Nigranes, eines abtrünnigen Hexenclans, die man wahre Meister in der Dämonologie nannte. Aber es muss noch bei meinen Eltern in deren Bibliothek stehen. Darin steht geschrieben, wie man einen Dämon beschwört, ohne dabei draufzugehen.“
Kopfschüttelnd starrte Helena sie an. „Wie kommst du an solche verbotenen Bücher?“
„Frag nicht, ich brauchte es halt mal.“ Evelyns Blick verdüsterte sich erneut und ihre Hand fuhr reflexartig an ein ledernes Armband, in das ein paar amethystfarbene Perlen eingeflochten waren. „Ich fahre sofort zu meinen Eltern rüber und hole es.“
Sie flitzte in den Flur, wo sie Jacke und Schuhe anzog, und verschwand.
Helena ließ sich mit dem Telefon am Ohr wieder zu Cat auf den Boden sinken und wählte immer und immer wieder die Wahlwiederholung. Einer Litanei gleich murmelte sie die Worte „Geh ran, geh ran, geh ran!“ Aber nur das Freizeichen antwortete ihr.
Irgendwann gegen zehn gab Helena die Versuche auf, bemüht, ihre Enttäuschung nicht zu Verzweiflung anschwellen zu lassen. Samuel wusste sicher, dass sie ihn nicht im Stich ließ, auch wenn sie es ihm nicht sagen konnte. Er vertraute ihr doch.
Sie ging in die Küche, wo sie sich einen Tee aufsetzte. Bis auf die Kekse bei Lady Claire hatte sie
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