Bennys Blutgericht
gab da noch einen anderen Grund. Amy gehörte zu den sehr neugierigen Menschen, und Benny hatte da ein Thema angeschnitten, mit dem sie bisher nicht in Berührung gekommen war und es nur vom Hörensagen kannte.
Voodoo!
Ein geheimnisvolles Wort. Eine alte Magie, die in Afrika ihren Ursprung hatte und von den Sklavenheeren über den Atlantik hinweg nach Amerika transportiert worden war.
Der Zauber namens Voodoo!
»Du kennst dich aus, Benny?«
»Nein, nicht ich. Es ist der Voodoo-Meister. Er hat meine wunderbaren Puppen geweiht.«
»Ist er dein Freund?«
»Bestimmt.«
»Wie heißt er?«
»Calypso!«
»Welch ein Name!«
»Aber so heißt er.«
»Und du weißt auch, wo du ihn finden kannst?«
»Ja.«
»Sag es mir!«
Benny schielte zur Seite. Er sah das Messer wie einen stählernen Stift. Er wußte, daß er stark sein mußte, suchte aber noch nach den richtigen Worten. »Er wird es nicht wollen, daß ich ihn verrate. Er ist ein besonderer Mann, und er spricht sogar von einer Verantwortung, die er der Welt gegenüber hat.«
»Oh, wie nett. Trotzdem hat er sich mit dir verbündet. So sauber scheint er mir doch nicht zu sein.«
Benny schwitzte. »Was willst du denn von ihm?«
»Ich möchte ihn kennenlernen.«
»Und dann?«
»Werde ich mit ihm reden. Er soll mir etwas von seiner Kunst beibringen.«
»Ich weiß nicht, ob er das will.«
Amy ließ die flache kalte Seite der Klinge über seinen Hals gleiten. »Das mußt du schon mir überlassen, Junge. Sei froh, daß du noch lebst, sei froh.«
Benny, der sich durch die Berührung noch mehr versteift hatte, fiel etwas ein. »Von dir gibt es auch eine Puppe«, sagte er.
»Das weiß ich.«
»Sie ist nicht verbrannt.«
»Ach!«
»Ja, du mußt mir glauben. Alle anderen sind zerstört, nur deine Puppe nicht. Er hat sie mitgenommen.«
»Wer ist er?«
»Der dunkelblonde Mann, von dem ich den Namen nicht kenne. Er hat die Puppe an sich genommen und sie bestimmt behalten. Darauf kannst du wetten.«
»Der Polizist, dessen Name du nicht kennst. Kannst du dir denken, was er mit der Puppe vorhat?«
»Nein.«
»Aber sie ist die Spur zu mir.«
»Das kann sein.«
Amy Baker zog die Klinge etwas zurück. »Laß mich nachdenken. Wie ich die Bullen kenne, sind ihnen auch die Namen derjenigen bekannt, die du töten wolltest. Meiner inklusive. Deshalb muß ich damit rechnen, daß sie mich besuchen kommen. Vielleicht sind sie sogar schon hier am Theater gewesen, um mich in Schutzhaft zu nehmen.« Sie begann zu kichern. »Da sie mich nicht gefunden haben, werden sie zu meiner Wohnung gefahren sein. Verstehst du?«
»Klar.«
»Und deshalb werden wir nicht dorthin fahren, mein Kleiner. Oder willst du das?«
»Nein, ich möchte keinen Bullen sehen.«
»Eben.«
Benny Benson wartete auf einen weiteren Vorschlag, der sehr schnell kam. »Du hast mir von deinem Voodoo-Meister berichtet und mich fasziniert. Deshalb werden wir beide uns zu ihm auf den Weg machen, ob es dir nun gefällt oder nicht.«
Es gefiel Benny nicht. Ganz und gar nicht. Aber er konnte sich nicht wehren. Ein falsches Wort, eine falsche Bewegung, und sie würde zustechen.
»Nun, Junge?«
»Ja, wir fahren.«
»Sehr gut, Kleiner. Und denk immer daran, daß eine Giftmörderin auch mit einem Messer umgehen kann…«
Calypso hatte sich an diesem Tag nicht angezogen, sondern war in seine Wanne gestiegen. Wie tot lag er in der lauwarmen und ölähnlichen Flüssigkeit, um ein rituelles Bad zu nehmen. Es war nicht einfach nur Wasser mit einem bestimmten Zusatz, der es weicher machte, nein, die Zutaten, die zu diesem Bad gehörten, waren in keiner Apotheke oder Drogerie zu kaufen. Sie waren einfach etwas Besonderes und eigentlich nur für Voodoo-Meister zugänglich.
Das Bad reinigte nicht nur den Körper, es dampfte auch die Seele ab und ließ den Badenden frei werden. Obwohl der hünenhafte Mann die Augen geschlossen hielt, entstanden Bilder vor seinem Gesicht. Jedes einzelne schien aus dem Wasser hervorzusteigen. Zuerst verschwommen und undeutlich, dann immer stärker werdend.
Er sah sich auf dem alten Friedhof irgendwo auf der kleinen Insel in der Karibik. Er sah den Mann und die Frau.
Sie war eine Hexe, der Mann war ein Meister.
Er nahm die Waffe.
Er schlitzte der Hexe die Brust auf und riß ihr das Herz bei lebendigem Leibe aus dem Körper. Er tanzte damit um das Feuer. Er rieb es ein mit allerlei Salben und Kräutern, während die Hexe längst zu einem Opfer der Flammen geworden war, die sich gierig
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