Bennys Blutgericht
den Bau verließen.
Wir kannten Amy Baker nur vom Namen und vom Bild her. So schnappte ich mir einen jungen Mann, der dabei war, einen gelben Blouson überzustreifen.
»Sie kennen sich aus?«
»Klar.«
»Gut. Es geht uns um Amy Baker. Wo finden wir sie?«
»Die Chefin ist schon weg. Sie hat uns frei gegeben. Toll nicht?«
»Klar, gratuliere. Einfach nur so?«
»Ja.«
Jemand klopfte ihm auf die Schulter. »Kommst du, Matt?«
»Ja, Abel, gleich.«
»Immer mußt du reden!«
»Es ist also ungewöhnlich, daß die Chefin plötzlich Schluß mit dem Training macht?«
»Ja.«
»Hatte sie dafür einen Grund?«
»Bestimmt, aber den hat sie uns nicht gesagt.«
»Was hat sie euch denn gesagt?«
Etwas böse schaute mich der Tänzer an. »Hören Sie, warum wollen Sie das wissen? Wie käme ich überhaupt dazu, Ihnen das alles zu sagen?«
»Scotland Yard.«
»Ah so…«
»Okay, was wissen Sie?«
»Sie hat alles auf morgen verlegt. Dann ging sie weg.«
»Einfach so?«
»Klar, nur nicht allein.«
»Wer war bei ihr?«
»Ein junger Mann. Um die Zwanzig, schätze ich. Er hatte braune Haare und sehr blaue Augen. Von uns kannte ihn niemand. Er war keiner aus der Truppe.«
»Ein Besucher?«
»Er muß in der Pause gekommen sein.«
»Und Sie haben nicht gesehen oder wissen nicht, wohin die beiden gegangen sind?«
»Nein, tut mir echt leid, das weiß ich nicht.«
»Aber morgen soll es mit dem Training weitergehen?«
»Ja, um zehn Uhr.«
»Danke.«
»John, kommst du mal?« Aus dem Hintergrund hatte ich Sukos Stimme gehört. Als ich mich drehte, sah ich ihn schon winken. Er stand an der offenen Tür zum Probesaal. Wahrscheinlich hatte er dort etwas entdeckt. Ich drängte mich an den anderen vorbei und warf einen Blick in den großen leeren Saal, in dem eine Wand mit einem breiten Spiegel bedeckt war. Der Boden bestand aus Holz und war beigefarben. Bis auf Suko und mich war der Raum leer, und ich hob etwas verlegen die Schultern, weil ich nicht wußte, was Suko von mir wollte.
»Dir fällt nichts auf?«
»Nein.«
»Dann schau mal in die Mitte. Da siehst du die dunklen Flecken. Und das ist kein Kaffee.«
Ich ging hin. Suko blieb an meiner Seite. Zu prüfen brauchte ich die Flecken nicht. Bereits aus einer gewissen Entfernung sah ich, daß es sich nur um Blut handeln konnte.
»Wo kommt das her?«
»Da kann sich jemand verletzt haben.«
»Muß aber nicht.«
Suko nickte. »Eben. Randy Morrison und seine Freundin sind mit einem Messer erstochen worden. Ich nehme an, daß Benny die Tatwaffe nicht gewechselt hat.«
»Könnte alles so sein, stimmt aber nicht.«
»Dann weißt du mehr.«
Ich berichtete, was mir der Tänzer erzählt hatte. Suko konnte es kaum fassen. »Dann ist Amy Baker mit Benny Benson gemeinsam von hier verschwunden?«
»Alles deutet darauf hin.«
»Warum nur?«
»Das konnte mir der Tänzer auch nicht sagen. Es fällt mir auch schwer zu glauben, daß aus Feinden plötzlich Freunde geworden sind.« Ich klopfte gegen die Tasche, in der die Puppe steckte. »Wir werden sicherlich noch einiges an Überraschungen erleben, was diese Amy Baker angeht. Zehn Minuten früher, und wir hätten Glück gehabt.«
»Aber wir wissen, wo sie wohnt.«
Ich war skeptisch. »Glaubst du, daß sie sich in ihre Wohnung zurückgezogen hat?«
»Ein Versuch kann nicht schaden.«
»Okay, dann Abmarsch.«
Wohl war mir nicht bei diesen Ermittlungen. Allmählich kam ich mir vor, als hätte man uns an der Nase herumgeführt. Zusammen mit den letzten Tänzern verließen wir den Bau…
Amy Baker hatte Benny tief in den weichen Sitz gedrückt und ihm geraten, sich nicht zu bewegen. Wenn er etwas Falsches tat, würde die Klinge in seinen Hals dringen. Von seiner rechten Halsseite war sie nur eine Fingerbreite entfernt.
Die Giftmörderin hatte ihren ursprünglichen Plan geändert und sich einen besonderen Ort für ihre Befragung ausgesucht. Zusammen mit Benny war sie in das Theater gegangen, in dem nur die Notbeleuchtung brannte. Sie hockten in der letzten Reihe, waren ganz allein, und Benny wußte, daß er verloren hatte. Zumindest vorläufig. Er mußte sich fügen, doch aufgegeben hatte er sich noch nicht.
Sie hatte ihn gefragt, und er hatte ihr alle Fragen wahrheitsgemäß beantwortet. Keine Lügen, keine Ausreden, und so war Amy recht zufrieden gewesen. Sie hatte auch überlegt, ob sie Benny beseitigen sollte, doch dagegen hatte sich ihr Inneres gesträubt. Nicht, weil sie es nicht übers Herz gebracht hätte, nein, es
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