Bennys Blutgericht
über ihren alten und ausgemergelten Körper hergemacht hatten.
Das Herz war wichtig. Es hatte nicht aufgehört zu schlagen. Es lag auf seinen Händen, zuckte und wirkte manchmal wie ein zuschnappendes Maul.
In dieser finsteren Nacht wurde die Hölle beschworen. Wurden die Dämonen aus dem Reich der Toten wieder geweckt, um dem Herz der alten Hexe ein neues Leben einzuhauchen.
Der Zauber klappte. Das Herz schlug weiter. Es verging nicht. Es benötigte kein Blut. Es lebte, und es würde auch weiterhin sein Soll erfüllen. Eine ganze Nacht hielt sich der alte Mann im Dunkeln versteckt. Erst am frühen Morgen kehrte er zurück ins Dorf, das Herz in Palmenblättern eingewickelt.
Es gab einen, der besonders auf die Rückkehr des alten Mannes gewartet hatte. Das war sein Sohn, der Erbe, der auf den Namen Calypso hörte.
Das Herz sollte ihm gehören. Der Kraftquell der alten Hexe mußte einfach auf einen Nachfolger übergehen, und Calypsos Vater war einfach zu alt gewesen.
Calypso hatte es dankbar angenommen. Er hatte lange, sehr lange zugehört und war so in die Geheimnisse des Voodoo eingeweiht worden. Bis zum Meister jedoch war es noch ein weiter Weg, den er aber bereit gewesen war, bis zum Ende zu gehen.
In einer Gewitternacht hatte er die Prüfung ablegen müssen. Da waren die häßlichen Zombies aus den Gräbern gekrochen, um ihn zu zerreißen und sein Fleisch zu essen.
Er hatte ihnen widerstanden. Hoch auf der Kante eines Grabsteins stehend, hatte er den lebenden Toten das Herz der alten Hexe präsentiert. Er hatte es in seiner Hand gehalten und zucken lassen.
Und er hatte die Kraft der Toten gespürt. Sie war in ihn hineingesprungen, und er hatte sich als der perfekte Held über Leben und Tod gefühlt.
Die lebenden Leichen hatten ihm nichts getan. Sie waren zu seinen Dienern geworden und hatten sich zu Boden geworfen, als das Herz in seiner Hand aufgeglüht war.
Er war jetzt der Meister. Er hatte die Prüfung bestanden, und er würde der Welt beweisen, wie mächtig er war.
Es kam anders. Es waren Soldaten, die von den USA kommend, die Insel gestürmt hatten. Er hatte das Eiland verlassen müssen, er war geflohen, aber er hatte das Herz und seine Kenntnisse über den Voodoo-Zauber mitgenommen.
Bis nach Europa…
Hier hatte er Ruhe gefunden, ohne sein Wissen zu vernachlässigen. Er hatte versucht, mit anderen in Kontakt zu treten, die sich ebenfalls mit der Kunst des Voodoo beschäftigten. Aber es waren wenige gewesen, sehr wenige.
Hin und wieder hatte er bei Freunden und Bekannten seinen Zauber aufblitzen lassen. Er hatte geholfen, wo er konnte, aber er fühlte sich nie wohl nahe der großen Städte. Er wollte wieder nach Hause. In seiner Heimat würde es ihm besser gehen, aber Calypso hatte es nicht geschafft. Es war zu schwer geworden, denn mittlerweile kannte man ihn auch hier. Man suchte ihn auf, um seinen Rat zu erbitten, und er tat es gern für diejenigen, die oft am Rande der Gesellschaft standen. Die Sinti und Roma, die Farbigen aus den Ländern der Dritten Welt, denen man nur wenige Chancen zukommen ließ.
Ihnen half er, und bei ihnen war er angesehen. Deshalb hielt er sich auch in ihrer Nähe auf.
Die Bilder verschwammen. Die Gegenwart kehrte zurück, und Calypso kam sich vor, als hätte sein Geist einen Ausflug unternommen und wäre erst jetzt wieder in seinen Körper zurückgekehrt. Er fand sich in der Wanne wieder und wollte sie auch verlassen, doch da traf es ihn mit der Wucht eines Keulenhiebes.
Es war ein geistiger Hieb. Ein Schrei, der sich aus mehreren zusammensetzte. Ohne es zu wollen, erschienen vor seinen Augen wieder die visionären Bilder, die sich hektisch bewegten und von schrillen Schreien überlagert wurden.
Das große Sterben erreichte auch ihn, ohne ihn allerdings persönlich zu treffen. Er durchlitt es. Er sah das Feuer, und er sah darin die Gesichter der Puppen, die zum Raub der Flammen wurden und allmählich zerschmolzen.
Sie litten, sie schrien, sie verloren ihr Leben, das er ihnen eingehaucht hatte.
Tot, verbrannt – ein Raub der Flammen. Die Puppen des Jungen, auf die er so stolz gewesen war. Aber welche Kraft war in der Lage, seine zu vernichten?
Das Wasser fand er plötzlich kalt. Es war etwas eingetreten, das er nicht hatte verhindern können.
Calypso stieg aus der Wanne. Im Wagen war es halbdunkel. Die Gerüche der im Wasser aufgelösten Ingredienzien wehten durch die Luft und reinigten seine Schleimhäute.
Er trocknete sich mit langsamen Bewegungen ab
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