Benson, Amber - Jenseits GmbH 1 - Lieber Tod als Teufel
entgegenkroch.
„Das habe ich überhaupt nicht, du dummes kleines weißes Mädchen!“
„Schlampe!“
Sie starrte mich finster an und spie mir ihre nächste Beschimpfung entgegen. „Dummbratze!“
Irgendwie ließ das Wort „Dummbratze“ meine Abneigung gegen sie verpuffen. Ich kicherte. „Dummbratze?“, sagte ich, um sicherzugehen, dass ich mich nicht verhört hatte. „Wo hast du das denn her?“
Sie zuckte mit den Schultern, doch ein verlegenes Lächeln ließ ihre Mundwinkel zucken. „Irgendwie kam es mir passend vor …“
Der Alte unterbrach sie. „Meine Damen, bitte, wir haben keine Zeit für solche Trivialitäten. Es gibt viel zu besprechen, bevor Miss Reaper-Jones uns wieder verlässt.“
Die Frau nickte. Ich hatte das Gefühl, dass sie vielleicht doch nicht so ein Miststück war. Wahrscheinlich war sie nur genervt, weil sie so lange draußen in der Sonne hatte rumsitzen müssen, und ließ ihren Ärger an mir aus.
„Es klingt ganz so, als hätte man Sie bereits über ihre Aufgaben informiert, Miss Reaper-Jones, also beginnen wir doch gleich damit“, fuhr der Alte fort. „Ich bin Wodan aus dem Norden. Ich und die beiden anderen Vorstandsmitglieder, Persephone und Kali …“
Persephone deutete ein Nicken an, als ihr Name genannt würde, während das Mädchen im Sari eine Braue hob.
„Ich bin Kali“, sagte sie bedeutungsvoll, als wäre mir das nicht ohnehin schon klar gewesen.
Lautlos formte ich ein Ach echt mit den Lippen. Sie verdrehte die Augen. Seltsamerweise hatte ich den Eindruck, dass Kali mich mochte und auf eine verdrehte Art und Weise versuchte, mit mir Freundschaft zu schließen.
„Wie ich soeben sagte“, mischte sich Wodan aus dem Norden ein und unterbrach so meinen Gedankengang. „Der Vorstand kann Ihnen die Kräfte des väterlichen Amtes erst übertragen, wenn Sie die drei Prüfungen bestanden haben, die ich Ihnen nun darlegen werde.“
Bevor er anfangen konnte, die von mir mit Schrecken erwarteten Prüfungen zu erklären, hob ich die Hand. Wodan, der offenbar völlig verwirrt von meinem Verhalten war, hielt unschlüssig inne.
„Ja, Miss Reaper-Jones“, sagte er schließlich.
„Können wir nicht einfach so tun, als wäre ich … na, Sie wissen schon, so was wie eine Vertretungslehrerin. Sie könnten mir doch einfach eine Notfalllehrerlaubnis geben, weil es … na ja, halt ein Notfall ist?“
Ich wusste, dass es irgendwo da draußen eine perfekte Analogie für meine Lage gab, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass es sich dabei um die handelte, die ich soeben aus dem Hut gezaubert hatte. Kalis hämisches Kichern bestätigte meine Befürchtung.
„Ich glaube, Ihnen ist das Gewicht dieses Amtes nicht bewusst“, sagte Wodan streng. „Ihr Vater …“
„… ist verschwunden. Ich weiß. Machen wir also weiter.“
Kali zwinkerte mir erneut verstohlen zu. Offenbar gefiel es ihr, dass meine Unterwürfigkeit gegenüber Wodan aus dem Norden zu wünschen übrig ließ.
„Nun gut“, erwiderte Wodan verblüfft. „Folgende Aufgaben erwarten Sie …“ Er nickte Persephone zu, die zum ersten Mal seit meinem Eintreffen den Mund auftat und das Wort ergriff.
„Ihre erste Aufgabe ist es …“, hob sie an, doch ich hörte schon nach wenigen Worten nicht mehr, was sie sagte, weil ihre Stimme so unglaublich schön war.
Zweifellos war es eine solche Stimme gewesen, die Edgar Allan Poe seinerzeit von „tönenden Silberperlen“ schreiben ließ. Anders kann ich es nicht beschreiben. Jede Silbe klang wie das Läuten tausend kleiner, wunderbar aufeinander abgestimmter Glöckchen.
Verständnislos lauschte ich der Stimme, die mich so tief berührte, dass mir die Tränen über die Wangen kullerten. Kali verzog das Gesicht und stieß Persephone den Ellbogen in die Seite. Persephone schloss den Mund und schaute Kali fragend an.
„Halt den Rand, Seph. Sie heult schon wie ein kleines Baby, was sie auch ist.“
Persephone zuckte mit den Schultern und räusperte sich rau. „Tut mir leid“, sagte sie in einem sehr viel menschlicheren Tonfall. „Habe ganz vergessen, meine Götterstimme abzuschalten.“
„Schon in Ordnung.“ Ich schüttelte den Kopf. Dann fügte ich, ohne nachzudenken, halblaut hinzu: „Wo ist Jarvis mit einer Kleenexpackung, wenn man ihn braucht?“
Ein leiser Knall ertönte, und plötzlich stand Jarvis mit einer Kleenexpackung in den ausgestreckten Armen neben mir.
„Du hast mich gerufen?“, quäkte er verwirrt.
Tatsächlich sah er mehr als nur verwirrt
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