Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
an einem vorher vereinbarten Ort treffen. Aber als wir dort ankamen, war Père nicht da.« Kates Stimme wurde lauter. »Und ich bin nicht so vollkommen unglücklich, wie ich erwartet hatte! Es ist furchtbar! Ich fürchte, ihm ist etwas Schreckliches zugest oßen, aber ich … ich …«
»Schscht«, machte Marie beruhigend. »Sprecht nicht so unheilige Gedanken aus. Wa hrscheinlich hat er sich nur verspätet.«
»Ich wünschte, ich könnte dessen sicher sein! Inzwischen müßte er mich gewiß längst gefunden haben. Wir haben außer diesem Treffen nichts vereinbart. Aber jetzt«, weinte sie, »ertappe ich mich dabei, daß ich bei Karle bleiben möchte!« Sie wischte sich die Tränen ab. »Ich weiß nicht, was ich tun soll. Diese Dinge sind so verwirrend.«
Marie legte einen Arm um Kates Schultern und versuchte, sie zu trösten. »Und bestürzend – Ihr seid hin- und hergerissen zwischen Eurem Vater und Eurem Liebsten, wie es allen Frauen irgendwann ergeht.«
»Er ist nicht mein Liebster, aber … aber …«
»Aber Ihr wünscht Euch, er wäre es.«
»Ja! Nein! Ich weiß nicht! Oh, wie kann man sein eigenes Herz nicht kennen?«
»Wer kennt schon sein eigenes Herz? Ihr müßt Euch einfach Zeit lassen, bis es sich offenbart.«
Kate warf Marie einen jämmerlich klagenden Blick zu. »Und was soll ich bis dahin tun? Ich habe kein Zuhause, ich kann meinen père nicht finden, dieser Karle ist so neu für mich …«
»Nun, natürlich werdet Ihr hier in Monsieur Marcels Haus bleiben. Er ist sehr großzügig und würde Euch nicht vor die Tür setzen. Außerdem würde ich es nicht zulassen! Momentan nehmen ihn seine Geschäfte in Beschlag, und da Madame so weit fort ist, wäre Eure Gesellschaft ein Segen für mich.«
Kate versuchte zu protestieren, aber die gute Marie wollte nichts davon hören. »Ihr werdet keine Last sein, sondern viel eher hilfreich. Schließlich sind nun zwei Herren im Haus, und zwei Herren scheinen immer der Arbeit von hundert Damen zu bedürfen, meint Ihr nicht? Auch wenn sie es nicht zugeben wollen.«
Kate gestand nicht, daß sie zu wenig Erfahrung besaß für solche Vergleiche; aber sie widersprach auch nicht.
»Ich kenne die Gewohnheiten des Herrn Guillaume nicht; aber vielleicht könnt Ihr Euch um seine Bedürfnisse kümmern, während ich für Monsieur Marcel sorge«, unterbreitete Marie ihr mit einem scherzhaften Zwinkern. »Zweifellos hätte Euer Monsieur heute morgen lieber Eure Hände beim Waschen seiner widerlichen Kleider gesehen als meine.« Dann kicherte sie. »Ich übrigens auch.«
»Aber was wird er von mir denken, wenn ich anfange, ihn auf diese Weise zu bedienen? Wird er mich für seine – Gemahlin halten? Ich weiß nicht, ob ich das möchte.«
»Er wird denken, was ihm ohne Euch alles fehlen würde, und sich doppelte Mühe geben, Euch zu gefallen. Und jetzt trocknet Eure Augen und faßt Mut, denn Eure Verwirrung wird bald zu Ende sein – das verspreche ich Euch.«
Sie verbrachten den kurzen Rest des Nachmittags mit Hausarbeit und der Vorbereitung eines schlichten Abendessens. Und als die Herren sich zu einer weiteren Runde strategischer Beratungen in den Salon zurückzogen, half Marie Kate, ihr langes Haar zu waschen. Während es trocknete, brachte Kate der Dienerin das Kartenspielen bei. Marie war entzückt, denn sie hatte sich noch nie an solch einem Zeitvertreib erfreut.
»Ihr besitzt eine rasche Auffassungsgabe«, bemerkte Kate.
»Die ganz nutzlos ist«, gab Marie von sich. »Nur wer von adliger Geburt ist, hat Zeit für solche Narrheiten. Hat Monsieur Karle Euch das beigebracht?«
Kate antwortete wahrheitsgemäß, sagte aber nur, was sie sagen durfte. »Meine Mutter hat einmal einer hochgeborenen Lady in England gedient«, erklärte sie. Wenn ich nur sagen könnte, wie hochgeboren! »Da hat sie viele schöne Dinge gelernt und dann an mich weitergegeben.«
»Ich habe schon bemerkt, daß Ihr feine Manieren habt«, teilte Marie ihr freimütig mit. »Woher stammen die?«
»Vieles kann man durch Beobachtung lernen«, erwiderte Kate und hoffte, das werde ausreichen.
Marie lachte. »Da würde ich mir wünschen, daß man auch Reichtum durch Beobachtung erwerben könnte!«
»Beneidet die Reichen nicht«, belehrte Kate sie. »Sie sind nicht immer die glücklichsten Menschen.«
»Das würde ich trotzdem gerne selbst ausprobieren«, sagte die kleine Magd, während sie eine Karte ablegte und triumphierend den Stapel einheimste. »Ich könnte Euch am Ende beweisen, daß Ihr
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